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Reports Schweiz

Der Schweizer Bergtourismus muss sich neu erfinden!

Eine Grundsatzstudie der «Denkfabrik» Avenir Suisse kommt zum Schluss: Strukturbereinigungen im Bergtourismus sind ebenso überfällig wie Reformen – auch wenn die meisten Hotels im Berggebiet die Pandemiejahre 2020 und 2021 gut überstanden haben. Es geht um die zentrale Frage: Wie können Hotels und Bergbahnen im Alpenraum langfristig und nachhaltig überleben?

Der Tourismus ist eine standortgebundene Dienstleistung. Hotels, Restaurants und Bergbahnen können ihren lokalen Kostennachteil nicht durch den Einkauf von Vorleistungen aus dem günstigeren Ausland wettmachen. Viele Gäste stammen aus dem Euroraum, aber auch Einheimische zieht es wegen der Frankenstärke ins Ausland. Darunter leidet der Bergtourismus viel mehr als der Städte- oder Businesstourismus. Umso mehr ist der Strukturwandel so zu gestalten, dass die Branche wettbewerbsfähig wird.

Gerade der Tourismus, diese Schlüsselbranche des Berggebietes, steht unter Druck, wie zwei Entwicklungen zeigen. Erstens verliert der Bergtourismus relativ zum Städtetourismus an Bedeutung – trotz guten oder sehr guten Übernachtungs- und Ertragszahlen während der Pandemie (2022/21). Zweitens verliert die Schweiz gegenüber den Nachbarländern zunehmend Marktanteile. Seit der Jahrtausendwende gingen die Logiernächte der Hotellerie im Schweizer ­Alpenraum um 7 Prozent zurück, während sie in Österreich (z.B. Tirol und Vorarlberg), aber auch in Italien (z.B. Südtirol) zunahmen.

Der Schweizer Bergtourismus durchlebt seit vielen Jahren einen tiefgreifenden Strukturwandel, wobei strukturelle Faktoren, langfristige Trends und einige externe Schocks zusammenwirken:

  • Saisonalität der Nachfrage: Mehr als im Städtetourismus schwanken die Gästezahlen in den Bergen im Jahresverlauf erheblich. Dies untergräbt die Profitabilität, gerade auch von Betrieben mit hohen Fixkosten (z.B. Hotels, Bergbahnen). Über das Jahr verteilt liegt die Kapazitätsauslastung der Hotels in den Schweizer Alpen bei nur einem Drittel. Zudem leidet das Wintergeschäft unter milden Wintern und könnte in einigen Gebieten langfristig ganz wegbrechen. Prognosen zufolge ist der Klimawandel vor allem eine Gefahr für die tiefer gelegenen Destinationen im Berner Oberland (zum Beispiel Gstaad/Saanenland), der Zentralschweiz und dem Tessin – ebenso wie für die Konkurrenz in Deutschland und Österreich. Das Graubünden und Wallis hingegen sind weniger stark betroffen.

  • Wandel im Freizeitverhalten: Früher gab es für Mitteleuropäer in der kalten Jahreszeit kaum Alternativen zu Skiferien. Der Aufstieg von Billigfluglinien sorgt heutzutage jedoch für eine scharfe Konkurrenz durch Warmwasser-Destinationen von den Kanaren bis nach Thailand. Da in vielen Herkunftsländern weniger Kinder und Jugendliche Skifahren lernen, leidet der klassische Wintersport zunehmend auch unter Nachwuchsproblemen: Zu lange hat man sich auf die Generation der Babyboomer verlassen. Zwei weitere Trends, die dem Bergtourismus zu schaffen machen, sind die Tendenz zu häufigeren Kurzurlauben (statt weniger mehrwöchiger Ferien) und die wachsende Beliebtheit von Städtereisen.

  • Kleinteiligkeit der Branche: Ein Problem des Schweizer Bergtourismus sind seine fragmentierten Strukturen. Trotz einer Konsolidierung in den letzten Jahren gibt es noch immer zu viele kleine Hotels, kleine Skigebiete und kleine Regionen mit eigenem Tourismusmarketing. Vielen dieser Anbieter mangelt es an einer klaren Nischenstrategie, an kritischer Masse für die professionelle Vermarktung, den nötigen Skaleneffekten für den profitablen Betrieb und der Kapitalkraft für Investitionen. Nachteile der Kleinteiligkeit für die Kunden sind die Unübersichtlichkeit des Schweizer Marktes und eine fehlende Produktbündelung, die anderswo in Form von Pauschalreisen geboten wird.
  • Digitalisierung: Die Digitalisierung führt auch in der Tourismuswirtschaft zu tiefgreifenden Veränderungen. Online-Buchungs- und Vergleichsportale haben den Wettbewerb zwischen den Destinationen und Tourismusbetrieben massiv erhöht. Die dadurch bedingte Preistransparenz und die Marktmacht der Buchungsportale lassen die ohnehin geringen Margen noch weiter erodieren. Eine abnehmende Kundenloyalität und die Tendenz zu kurzfristiger Ferienbuchung reduzieren die Planungssicherheit. Aber die Digitalisierung bietet auch Chancen für jene Anbieter, denen es gelingt, schlüssige Strategien und Geschäftsmodelle zu entwickeln.

  • Probleme in den Herkunftsländern: Die Finanz- und Wirtschaftskrise (2008) hat in den letzten Jahren zu einem starken Rückgang internationaler Gästezahlen geführt, vor allem aus der Eurozone. Auch spezifische Wirtschaftsprobleme in wichtigen Herkunftsländern haben in der Branche Bremsspuren hinterlassen – vor einigen Jahren die wirtschaftlichen Probleme in Deutschland und heute jene in Italien und Frankreich. Die wachsenden Besucherzahlen aus Schwellenländern konnten diese Lücke nur zum Teil füllen. Zudem profitieren davon nur einige Top-Destinationen (z.B. Zermatt, Jungfraujoch), und die Bedürfnisse der Neukunden unterscheiden sich teils erheblich von jenen europäischer Gäste.

  • Hohe Kostenbasis: Die Schweiz ist eine Hochpreisinsel und war daher schon immer ein teures Reiseland. Hohe Löhne, hohe Immobilienpreise und teure Lebensmittel aufgrund des Agrarprotektionismus – sie alle tragen zum Kostenproblem heimischer Anbieter bei. In den letzten Jahren hat der starke Franken die Wettbewerbsfähigkeit der Tourismusbranche nochmals dramatisch verschlechtert. Die 15%-Aufwertung nach Freigabe des Euro-Mindestkurses Anfang 2015 (von Fr./€ 1.20 auf 1.05) war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Noch 2008 lag der Wechselkurs bei Fr./€ 1.65, d.h. innerhalb von sechs Jahren hat der Franken um einen Drittel aufgewertet.

Der Tourismus ist eine standortgebundene Dienstleistung. Anders als viele Industriebetriebe können Hotels, Restaurants und Bergbahnen ihren lokalen Kostennachteil nicht durch den Einkauf von Vorleistungen aus dem günstigeren Ausland wettmachen. Zudem stammen viele Gäste aus dem Euroraum, und auch die einheimischen Urlauber zieht es wegen der Frankenstärke zunehmend ins Ausland. Darunter leidet der Bergtourismus viel mehr als der Städtetourismus, der einen hohen Anteil an weniger preissensitiven Kurzurlaubern und Geschäftsreisenden aufweist.

Mit dem Bergtourismus trifft die Aufwertung der Landeswährung eine Branche, die sich ohnehin in einem schwierigen Strukturwandel befindet. Die «Produktivitätspeitsche» des harten Frankens könnte die überfällige Strukturbereinigung im Bergtourismus vorantreiben und nötige Reformen anstossen. In einigen Fällen kann aber der währungsbedingte Verlust an Wettbewerbsfähigkeit in einer ohnehin margenschwachen Branche auch Strukturen beschädigen, die bei einem günstigeren Wechselkurs durchaus zukunftsfähig wären. Umso mehr besteht die Herausforderung darin, den Strukturwandel so zu gestalten, dass die Branche langfristig wettbewerbsfähig wird.

Und das sind die Zukunftsszenarien für den Wintertourismus

Schleichender Niedergang, Comeback oder Neuerfindung des Bergtourismus? Dr. Daniel Müller-Jentsch von Avenir Suisse hat, ausgehend von Megatrends, 5 Zukunftsszenarien für den Wintertourismus entworfen:

Grundlage der Zukunftsszenarien sind die Megatrends Klimawandel, Digitalisierung, Globalisierung, Demografischer Wandel, Urbanisierung und Gesundheit, sowie einige spezifische Trends im Tourismussektor (kurzfristigere Planung und Buchung, häufigere, aber kürzere Reisen, mehr Städte- und Geschäftsreisen).

Szenario 1

Schleichender Niedergang

  • Über die nächsten 20 bis 30 Jahre stirbt der klassische Wintersport in den Schweizer Bergen einen langsamen Tod.
  • Freizeitaktivitäten verlagern sich immer mehr in die digitale Sphäre und schliesslich in die virtuelle Realität.
  • Die Tourismusinfrastruktur erodiert zunächst langsam, nach Unterschreitung der kritischen Masse beschleunigt.
  • Durch Alterung und Abwanderung erlahmen die Innovationskraft und die Fähigkeit zum Strukturwandel.
  • Der Politik mangelt es an Strategiefähigkeit, sie beschränkt sich auf strukturerhaltende Massnahmen und Subventionen.
  • Durch diese toxische Mischung aus externen und internen Faktoren verliert das Berggebiet am Ende seine systemrelevante Branche.
  • Somit zieht der Niedergang des Winter- und Bergtourismus immer weitere Kreise – Teile des Berggebietes veröden.

Szenario 2

Geografische Konzentration

  • Die Nachfrage stabilisiert sich auf niedrigem Niveau, der Wintertourismus wird zum Nischenprodukt.
  • Die zunehmende Kapitalintensität, etwa für Beschneiung, führt zur Konsolidierung in wenigen Destinationen.
  • Der Klimawandel führt zum Rückzug des alpinen Wintertourismus auf die Schweizer Alpen (am Fusse der 4000er, Exitus AU/DE/IT).
  • Innerhalb der Schweiz profitieren von den Entwicklungen hochgelegene Regionen (z.B. Wallis, Graubünden) und dort insbesondere die Top-Destinationen (Zermatt, St. Moritz).
  • Andere Regionen müssen alternative Strategien entwickeln wie Sommer- und Gesundheitstourismus – oder sie werden schrumpfen.
  • Branche und Politik sollten Strategien entwickeln, wie der Übergang zum neuen – polarisierten – Gleichgewicht zu gestalten ist.

Szenario 3

Comeback des Wintertourismus

  • Die hochgelegenen Schweizer Skiorte werden zu Profiteuren des Klimawandels (DE, AU, IT verlieren Marktanteile).
  • Es kommt zu einer Marktbereinigung und Konsolidierung. Kleine Skigebiete und schwache Anbieter verschwinden vom Markt.
  • Gezielte Destinationsbildung führt zu einer Ausdifferenzierung und Spezialisierung der Tourismusorte auf einzelne Marktsegmente.
  • Produktinnovation und -bündelung, ermöglicht durch moderne IT-Lösungen, machen den Wintersport wieder wettbewerbsfähig.
  • Der Megatrend Gesundheit und die Suche nach Authentizität in einer digitalen Welt führen zur Renaissance der Natursportarten.
  • Der Schweizer Branche gelingt es, durch Rückbesinnung auf ihre Wurzeln dem Wintersport seine verlorene «Seele» zurückzugeben.

Szenario 4

Radikale Neuerfindung des Bergtourismus

  • Aufgerüttelt durch die Krise erwacht die Branche aus der Lethargie.
  • Mutige Unternehmer und Politiker gehen den Strukturwandel aktiv an und erneuern die Basis des Bergtourismus.
  • Das Potential der 350 000 Zweitwohnungsbesitzer wird erschlossen, pensionierte Baby-Boomer verlegen ihren Erstwohnsitz.
  • Es gelingt, Hybridangebote zwischen dem darbendem Berg- und dem florierenden Städtetourismus zu entwickeln.
  • Die Schwellenländer werden als Märkte erschlossen. Mit Mitteln der Digitalisierung wird das Tourismuserlebnis neu erfunden.
  • In einer urbanisierten Schweiz werden die Bergregionen zu Dienstleistern der Metropolen («Para-Tourismus»).
  • Klassische Produkte erodieren (z.B. Skitourismus, Hotellerie), aber die Berggebiete finden ihre neue Nische in einer nationalen und internationalen Arbeitsteilung.

Szenario 5

Florierender Tourismus ohne Tourismusbranche

  • Die digitalisierte Sharing Economy löst die Tourismusbranche ab: «Free for All»:
  • Kostenlose/preisgünstige Anreise: Billigflieger, selbstfahrende Autos, Fernbusse, Mitfahrgelegenheiten, Uber
  • Kostenlose/preisgünstige Übernachtung: Vermietungsservice für Ferienwohnungen (Airbnb), Couchsurfing, Campingplätze, SAC-Hütten
  • Kostenlose/preisgünstige Freizeitgestaltung: Comeback des Wanderns, Velo/Mountainbike, Schneeschuhtouren, Free Climbing, Pilgerreisen
  • Kostenlose/preisgünstige Infrastruktur: Wanderwege, Naturpärke, historische Städte, Badis an Schweizer Seen und Flüssen
  • Kostenlose/preisgünstige Dienstleistungen: Online-Kartendienste, Wander-Apps, Reisetipps im Internet, Preisvergleichs-Portale.

Die 10 Chancen für den Wintertourismus

Wie Tourismusanbieter und Hotels im Berggebiet überleben und Erfolg haben können.

  • Parents Matter: Ob ein Kind Skifahren oder Snowboarden lernt und die Sportart Teil seines Lebens wird, hängt primär von den Eltern ab. Es braucht also starke Anreize für die zentrale Zielgruppe Eltern, damit sie ihren Kindern den Einstieg in den Wintersport ermöglichen: Attraktive Kinder- bzw. Familienangebote, die einfach zugänglich und leicht zu kommunizieren sind.

  • Togetherness Rules: Gemeinschaftserlebnisse sind eine wichtige Motivation für Winterferien. Sei es mit der Familie über mehrere Generationen oder mit Freunden – Winterzeit verbringt man gerne in Gruppen. Es lohnt sich also, das Gemeinschaftserlebnis in Angeboten und deren Vermarktung in den Vordergrund zu stellen. Zudem bieten Zweitwohnungsbesitzer ungenutztes Potenzial, um neue Gäste zu gewinnen.

  • A Great Product Is The Best Marketing: Wer Gäste für den Wintertourismus gewinnen will, muss mit einem überzeugenden Angebot aufwarten, denn reine Kommunikationsmassnahmen zeigen wenig Wirkung. Innovative, national koordinierte und einheitliche Produkte – verknüpft mit passenden Kommunikationsmassnahmen – steigern die Nachfrage für Ferien in den alpinen Winterdestinationen.

  • Total Convenience Makes The Total Difference: Wer Ferien macht, will sich möglichst wenig um die Organisation kümmern. Was Anbieter von boomenden Städtereisen und Kreuzfahrten bereits geschafft haben, muss auch im Wintertourismus das Ziel sein: eine Customer Journey mit unkomplizierten Angeboten, die einfach und digital zu kaufen sind und auf clevere Kooperationen setzen. Dann gewinnt der Wintersport an Attraktivität, vor allem bei der jüngeren Generation.

  • New Markets, New Opportunities: Der Wintersport wird in der Schweiz von einheimischen und europäischen Gästen dominiert, hingegen ist das Potenzial der Fernmärkte noch nicht ausgeschöpft. Die Ostküste der USA ist spannend, da von dort ein Flug in die Schweiz oft kürzer ist als in ein nationales Skigebiet. Für Gäste aus Asien steht nicht primär der Pistensport im Vordergrund, dafür aber der Schnee und das «Winterwunderland» als vielfach noch unbekanntes Erlebnis.

  • Mountain Activity World: Bis jetzt waren Wintertourismus und Wintersport in der Schweiz Synonyme. Doch der Klimawandel macht zumindest in Destinationen unter 1500 Metern ein Umdenken notwendig: Dort muss «der Berg» künftig auch ohne Skisport als touristische Destination und Erlebnisraum existieren. Für tiefer gelegene Destinationen eröffnet die Verschmelzung der Saisons Chancen für 365 Tage Erlebnisse. Richtig aufgestellt ist, wer unabhängig der Schnee- und Wetterlage eine gute Auslastung erreicht.

  • Pass On Your Passion: Best Agers sind eine aktive und finanzstarke Zielgruppe. Sie reisen ausgiebig auch ausserhalb der Spitzentage und halten einen Marktanteil von 20 Prozent. Die Gruppe der Best Agers bleibt so lange wie möglich im Wintersport aktiv und gibt ihre Begeisterung der jüngeren Generation weiter, allenfalls anstelle der Eltern. Zugleich sind sie auch die grössten Liebhaber und damit die besten Promotoren des Wintersports.

  • City = Mountain Hub: Immer mehr Menschen leben in Städten und der Städtetourismus floriert – auch im Winter. Die Schweizer Berge bieten sich als attraktive Naturoase und Naherholungsgebiet der Städte im In- und Ausland an. Tagsüber in die Berge, abends oder auch bei schlechtem Wetter in die Stadt. Die zunehmend grösser werdende Zielgruppe, die in ihrem Leben möglichst viel Abwechslung haben will, wäre damit gut bedient.

  • Snowfall Works. Always: Schneefall und danach herrliches Winterwetter garantiert Hochbetrieb in den Bergen. Dieser Trigger lässt sich durch gezielte Kommunikation verstärken, sogar im Ausland. Gute Verhältnisse auf den Pisten lassen ich über Live-Displays und andere digitale Kanäle noch besser bekanntmachen. Der FOMO-Effekt (Fear of Missing Out) kann mit dem Schneefall und der immer kürzer werdenden Wintersaison voll ausgespielt werden.

  • Make Winter Holidays Sexy Again: Alpiner Ski-Wintersport hat heute bei der jüngeren Generation keinen guten Ruf: Der Sport ist nicht mehr «cool» und geniesst bei Zeit- und Budgetvergabe keine Priorität. Daher braucht es eine Korrektur. Ein cooles Image von Winterferien und Wintersport und eine Portion «Sexiness» begeistert die jüngeren Generationen für den Berg und sorgt somit für mehr Nachwuchs und steigende Besucherzahlen.

Quelle: Avenir Suisse

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