Reisen scheint jetzt ein Grundbedürfnis der Menschen zu sein – vor allem in der westlichen, sogenannt «zivilisierten» Welt. Früher war es das Privileg der sozialen Oberschicht, Reisen in alle Welt zu unternehmen. Das ist jetzt anders. Dank Easy-Jet, Ferienclubs oder Pauschalferien gehören Reisen oder Ferien für grosse Teile der «normalen» Bevölkerung zum Alltag. Mit Reisen und Ferien ist zwangsläufig auch das Gastgewerbe und damit die Hospitality-Branche gemeint.
Wenn ich den Reiseteil einer grossen Zeitung oder eines Magazins anschaue, fällt mir auf, dass reine Hotelgeschichten rar geworden sind. Ich entdecke vor allem Themen wie Biken, Wandern, Kultur, Städte-Porträts, Wellness und Beauty, Kreuzfahrten, Abenteuer am Nordpol oder Traumferien in der Südsee. Wo bleibt da die schön aufgemachte Hotelgeschichte aus dem Engadin – oder die spannende Geschichte über das historische Grandhotel am Genfersee?
Christoph Ammann, langjähriger Leiter der Reiseredaktion beim Tamedia Verlag in Zürich (Tages-Anzeiger, Bund, BZ, Sonntagszeitung), hat mir schon vor Monaten in einem Gespräch erklärt: «Reine Hotelgeschichten bringe ich in unseren Medien fast nicht mehr unter.» Gefragt sind jetzt vor allem Reise- und Abenteuer-Storys wie «die spektakulärsten Bike-Trails im Südtirol». Warum fast keine Hotel-Themen mehr?
Kurz: Es gibt aktuell keine Umfragen oder Tourismusstudien, die hier eine Antwort liefern könnten. In Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen, die bei Medien arbeiten und sich nebenbei mit Tourismusthemen beschäftigen, höre ich z.B. die folgenden Argumente: Hotelgeschichten sind oft reine PR-Storys und deshalb journalistisch etwas fragwürdig. Oder: «Unsere Leser und Web-Nutzerinnen interessieren sich mehr für Landschaften, Städte, Freizeitsport, Naturereignisse und Abenteuer», so eine Kollegin aus dem Ringier Verlag. «Hotels spielen dabei eine eher zweitrangige Rolle, abgesehen davon, dass die Menschen heute ja nicht zwangsläufig in Hotels absteigen müssen, sondern auch alternative Beherbergungsformen wählen».
Und sonst? Wie werden Hotelgeschichten in den Medien abgehandelt? Mit Medien meine ich nicht nur gedrucktes Papier oder Online-Zeitungen, sondern auch Radio, TV und Social Media. Nochmals: Welchen Stellenwert haben Hotel-Storys in der medialen Landschaft?
Es gibt auch da keine aktuelle Studie zu dieser Fragestellung. Deshalb versuche ich die Frage aufgrund persönlicher Erfahrungen so gut wie möglich zu beantworten – aus der Optik eines Medienkonsumenten- und machers, und aus der Sicht eines Menschen, der sich seit Jahren mit Hospitality beschäftigt. Meine Wahrnehmung:
- Wenn Medien über Hotels berichten, sind es in der Regel unerfreuliche News wie Hotelschliessungen, Hotelpleiten, Fachkräftemangel, fehlende Qualität, mangelnder Service, wirtschaftliche Sorgen der Hoteliers, Nachfolgeprobleme usw.
- Branchen-News (Direktionswechsel im Hotel X, Fachevents, Verbandsthemen, Kochwettbewerbe usw.) erscheinen fast nur in den wenigen Fachmedien (Hotel Revue, Gastrojournal usw.). Mit anderen Worten: Wenn das Grandhotel X seinen Direktor verabschiedet, ist das höchstens eine Meldung in der Lokalzeitung.
- Attraktiv aufgemachte bzw. illustrierte Hotel-Storys sind aktuell kaum mehr zu finden in der schweizerischen Medienlandschaft. Übrigens: PR-Agenturen, die in Diensten von Hotels oder Hotelgruppen stehen, haben zunehmend Mühe, ihre Hotel-PR-Geschichten unterzubringen.
- Noch vor wenigen Jahren waren sogenannte «Pressereisen» bei Medienmachern höchst begehrt. Heute scheinen solche (organisierten) Hotel-Medien-Tripps ein Auslaufmodell zu sein. Wenn schon eine Medienreise, dann bitte umfassend: «Warum Korsika für Taucher und Segler ein Traumziel ist.» Das Hotel auf Korsika, wo die Medienleute absteigen, spielt nur am Rande eine Rolle, wenn überhaupt.
Blicken wir auf das vergangene Jahr 2023 zurück. Quizfrage: Welche Hotels in der Schweiz sorgten in der Publikumspresse, bei Radio und TV, für Schlagzeilen oder Gesprächsstoff?
Sie erinnern sich: Im Frühjahr hiess es (einmal mehr): «The Dolder Grand am Zürichberg wird verkauft». Investor und Unternehmer Urs Schwarzenbach habe nun «genug» von seinem Luxus-City-Resort, das «nur rote Zahlen» schreibe. Die Dolder-Story wurde von der Finanzplattform «Inside Paradeplatz» und gleichzeitig vom «Blick» lanciert – und nur wenige Stunden später wurde die Geschichte von vielen Zeitungen und News-Portalen übernommen. Hotel Inside wusste: Nur ein Gerücht. An der Story ist nichts dran.
Wenige Tage später erneut eine Hotel-Story, die national für Aufsehen sorgte: «Katar will Bürgenstock Resort abstossen». Die Meldung verbreitete sich wie ein Hurrikan im helvetischen Blätterwald. Es waren vor allem Printtitel, die auf die Katar-Story aufsprangen. Hotel Inside wusste auch diesmal: ein Gerücht. Katara Hospitality wollte Bürgenstock, Schweizerhof Bern und Royal Savoy Lausanne im Frühjahr 2023 nicht verkaufen.
Erstaunlich: Da entsteht irgendwo in der Finanz- oder Bankenwelt ein Gerücht (siehe Dolder und Bürgenstock) – und die meisten Medien reagieren sofort auf solche «News», ohne die «Geschichte», die sich wenig später als Gerücht entpuppt, zu hinterfragen. Es reicht, wenn der Boulevard die «Ente» verbreitet – und alle ziehen nach.
Nur wenige Medien (Beispiel NZZ) hinterfragen solche Storys. Man veröffentlicht das, was schon veröffentlicht wurde. Man geht davon aus, dass die bereits publizierte Story einigermassen stimmt. Warum zusätzliche Recherchen? Keine Zeit.
Fake News, wie man solche Geschichten neuerdings nennt, sind längst zum Alltag geworden. Gerüchte, Mutmassungen, Spekulationen und Unwahrheiten prägen nicht selten das Treiben auf gewissen Redaktionen. Tourismus und Gastgewerbe sind da genauso betroffen. Keine Spur von seriöser Recherche und Verifizierung der Informationen. Es wird einfach drauflos geschrieben, ohne Rücksicht auf mögliche «Opfer». Ich spreche aus Erfahrung…
Wer kümmert sich eigentlich auf den Redaktionen um Tourismus und Hotellerie? Gibt es da Journalistinnen und Redaktoren, die wirklich eine Ahnung haben vom Gastgewerbe? Ich kenne fast keine Medienmacher/innen, die sich dem Gastgewerbe mit der nötigen Motivation und Begeisterung annehmen – und dazu noch über ein gewisses Branchenwissen verfügen. Was sich nur noch nationale Medien leisten können, ist bei kleineren Titeln oder Onlineportalen längst kein Thema mehr: der Reiseredaktor. Oft ist der Tourismus im Ressort Finanzen & Wirtschaft angesiedelt. Da kümmert sich dann ein Redaktor – neben Bauwirtschaft, Immobilien oder Aktienmärkten – auch noch um touristische News. Dass diese Allrounder über ein eher bescheidenes Fachwissen im Bereich Tourismus verfügen, liegt auf der Hand.
In Schweizer Medienhäusern gibt es nur eine Handvoll Journalistinnen oder Redaktoren, die ein fundiertes Wissen haben, wenn es um das Gastgewerbe geht. Dazu zählen z.B. Claus Schweizer, Reisejournalist bei der Bilanz, Urs Heller, Chefredaktor Gault & Millau (ein intimer Kenner des Gastroszene), David Schnapp (Ringier), Reto E. Wild (Chefredaktor Gastrojournal) oder Andreas Güntert (Handelszeitung).
Was in der Politik in Bern schon längst eine Tatsache ist, ist auch in den Medien ein Faktum: Tourismus und Hotellerie sind hier als Branche untervertreten. Im Nationalrat zu Bern sitzt kein einziger Hotelier. Höchstens zwei oder drei Parlamentarier engagieren sich unter der Bundeskuppel für touristische Anliegen – und das auch nur punktuell. Fehlendes Engagement, Wissen und Know-how führt in Politik und Medien dazu, dass Tourismus und Hotellerie nur von zweitrangiger Bedeutung sind.
Natürlich, das Image der Schweizer Hotellerie ist in der breiten Öffentlichkeit wesentlich besser als noch vor fünfzehn oder mehr Jahren. Grund: Nicht wenige Hotels haben kräftig in ihre Häuser investiert. Man setzt zudem vermehrt auf nachhaltige Qualität und Service Exzellenz. Und der Branchenverband HotellerieSuisse hat in jüngster Vergangenheit kräftig Lobbying und PR betrieben, so dass die Schweizer Hotellerie heute – selbst in Bundesbern – positiv wahrgenommen wird. Doch man ist noch lange nicht am Ziel. Auf den neuen Präsidenten des Verbandes, Martin von Moos, warten in dieser Hinsicht einige Herausforderungen. Motto: Tut Gutes und spricht darüber.
Hans R. Amrein
Publizist & Gesellschafter