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Kommentar von Hans r. Amrein

Warum Hotels mit Geschichte eine erfolgreiche Zukunft haben

Ich weilte Ende Dezember im Hotel Victoria in Glion am Genfersee. Das 1869 erbaute 4-Sterne-Haus ist ein ganz besonderes, persönliches Hotel. Kein Hotelpalast! Toni Mittermair heisst der Mann, der das Hotel vor über 50 Jahren erwerben konnte. Der gebürtige Deutsche, aufgewachsen in Lindau am Bodensee, kam nach seinen Wanderjahren als Koch nach Glion – und entdeckt dort, hoch über dem Genfersee, das «Victoria». Toni steckte sein ganzes Geld und sein ganzes Herzblut in das Hotel. Er erfüllte sich einen Lebenstraum. Er sammelte in all den Jahren über 500 Objekte: alte Gemälde, antike Möbel, Spiegel, Schränke, Kommoden, alte Waffen, Musikinstrumente und Stilmöbel. Zusammen mit seiner Frau Barbara schaffte Toni Mittermair ein «Hotelwerk», ein Unikat. Das Hotelpaar von Glion hat sich ganz der Tradition und der Geschichte des Hauses verschrieben.

Und wie sieht Antoine Mittermair, der Sohn und Nachfolger, die Zukunft des Hauses? Will der 24-jährige Absolvent der Hotelfachschule Lausanne (EHL) das Erbe seiner Eltern wie bisher fortführen? Oder entsteht am Hügel von Glion schon bald ein modernes Design-Hotel?

Antworten auf solche Fragen erhalten Sie im Video-Talk mit Antoine Mittermair auf www.hotelinside.ch. So viel kann ich Ihnen an dieser Stelle verraten: Wer das altehrwürdige Hotel betritt, fühlt sich sofort in einer anderen Welt. Die Belle Epoque lässt grüssen! Ich denke: So muss es um 1860 bis 1910 in diesem Hotel ausgesehen haben: dicke Teppiche am Boden, alte Porträts aus dem 19. Jahrhundert an den Wänden, wertvolle Kommoden, Stilmöbel, Jugendstillampen…

Und erst die Küche: Auguste Escoffier (1846 bis 1932), der berühmte Meisterkoch aus Frankreich, scheint in der Küche zu stehen… Man denkt: Nächstens kommt Cäsar Ritz (1850 bis 1918) um die Ecke und begrüsst die Gäste…

Der Blick in die Speisekarte zeigt: «Alte Schule», klassisch-französische Küche. Antoine Mittermair, der Juniorchef, empfiehlt uns einige Hausspezialitäten. Zum Start (Vorspeise): drei Variationen von der Gänseleber mit französischer Brioche. Hervorragend! Beste Qualität. Ein Geschmackserlebnis. Es folgt die Hummersuppe, verfeinert mit Armagnac. Perfekt zubereitet. Der Hauptgang: ein Lamm-Karree an Kräuterjus mit Rösti. Tadellos gebraten, die beste Rösti, die wir in jüngster Zeit gegessen haben. Serviert wird das Lamm auf der Silberplatte, und es wird am Tisch tranchiert – «alte Schule» eben. Zum Dessert serviert man uns ein Parfait.

Was die Familie Mittermair ihren Gästen im «Victoria» bietet, ist nichts anderes als Erlebnisgastronomie. Man setzt auf Tradition, beste Qualität und klassischen Service. Man tut dies mit der nötigen Professionalität und beinahe perfekt. Abends serviert man die Süssspeisen auf dem Dessertwagen. Die «Klassiker» der Küche werden, so wie damals vor 100 oder 150 Jahren, direkt am Tisch zubereitet: das Chateaubriand an Sauce Béarnaise, das Entrecôte an Spätburgundersauce, die gebratenen Kalbsnieren, die Kalbsleber nach englischer Art…

Wir schauen uns ein Zimmer im ersten Stock des Hauses an: klassisches Mobiliar, eine Mischung aus antiken Objekten (19. Jahrhundert) und Stilmöbeln, alte Porträts um 1830 bis 1930, Vorhänge aus den fünfziger Jahren… Auch da: Man fühlt sich sofort in eine andere Zeit versetzt.

Wir verabschieden uns in der Hotelhalle mit dem offenen Kamin. Die Rezeption stammt wahrscheinlich aus den dreissiger Jahren, die Zimmerschlüssel hängen am guten, alten Schlüsselbrett, rechts vom Kamin stehen zwei Telefonkabinen. Hotellerie wie vor 100 Jahren. Toni Mittermair steht in der Lobby und gibt uns die Hand. Ein Gastgeber wie aus dem Geschichtsbuch: stilvoll, diskret, charmant, etwas demütig. Er lächelt und begleitet uns zum Ausgang. Er bleibt bei der Türe stehen und schaut uns beim Verlassen des Hotels nach. Dabei winkt er uns diskret zu…

Wer die grossen Trends in der Hospitality-Branche studiert, stellt fest: Hotels mit Geschichte werden eine erfolgreiche Zukunft haben. Die so genannte Grandhotellerie erlebt gerade ein Comeback, eine Wiedergeburt. Immer mehr Menschen, darunter vermehrt auch junge Leute, sehnen sich nach «alter Schule». Nostalgie ist «in». Hotels mit Geschichte sind eben einzigartig und nicht kopierbar.

Schlussfrage: Betreiben Sie ein Hotel mit Geschichte? Wenn ja, erlebt der Gast diese Geschichte hautnah und authentisch? Wenn nein, wäre es nicht an der Zeit, die Geschichte Ihres Hauses aufzuarbeiten und den Gästen zugänglich zu machen?

Glauben Sie mir: Wer als Hotelier eine Geschichte oder Geschichten zu bieten hat, ist auf der Erfolgsspur.

Hans R. Amrein
Publizist & Gesellschafter

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