Ich habe schon oft über das Thema geschrieben. Fakt ist: Die Mehrheit der unabhängigen Hotels in der Schweiz und in Deutschland hat keine Marke, keine klare Positionierung und folglich auch keine Preismacht. Zwei Drittel verkaufen sich primär über den Preis – ein ruinöses Geschäftsmodell, das direkt in die Abhängigkeit von OTAs wie Booking.com und in den schleichenden Ertragsverfall führt. Während globale Hotelkonzerne mit immer neuen Marken ihre Märkte segmentieren und dominieren, versagen viele Privathotels beim elementarsten Grundsatz des Unternehmertums: eine klare Antwort auf die Frage, wofür sie stehen.
Es ist brutal, aber wahr: Wer heute als Hotel keine Marke ist, ist überflüssig. Denn austauschbare Anbieter braucht der Markt nicht – und schon gar nicht zu einem Preis, der keine Investitionen in Qualität mehr erlaubt. Die Folge: Stillstand, Personalabbau, Substanzverzehr. Und genau das beobachten wir tagtäglich in hunderten Häusern zwischen Zürich, Luzern und Graubünden, zwischen Schwarzwald, Allgäu und Ostsee.
Ein Beispiel aus der Schweiz: Ein traditionsreiches Viersternehaus in einer Tourismusregion, seit Jahrzehnten im Familienbesitz. Das Haus ist gepflegt, die Zimmer renoviert, das Restaurant solide. Doch: Es gibt keine erkennbare Handschrift, kein klares Profil, keine Story. Die Website verspricht «Erholung und Genuss im Herzen der Alpen» – austauschbar, beliebig. Resultat: 65% der Buchungen kommen über Booking.com, die Durchschnittsrate liegt 20% unter dem regionalen Schnitt, die EBIT-Marge ist im roten Bereich. Der Eigentümer klagt über den Preisdruck und die hohen Kosten, übersieht aber: Das eigentliche Problem ist die totale Profil- und Markenlosigkeit.
Oder Deutschland: Ein Stadthotel in einer mittelgrossen Metropole, zentral gelegen, ordentlich geführt. Doch es fehlt die Differenzierung. Geschäftsreisende? Wochenendgäste? Familien? Man versucht, alle zu bedienen – und erreicht niemanden wirklich. Die Folge: Man konkurriert mit Kettenhotels, die dank Markenarchitektur glasklar segmentieren (Courtyard by Marriott für Business, Moxy für junge Traveller, Autograph Collection für Boutique). Das unabhängige Haus bleibt zurück, verkauft sich unter Wert und verliert Marktanteile.
Das Muster ist immer gleich:
Fehlende Positionierung = fehlende Marke = fehlende Preismacht = Abhängigkeit von OTAs = Ertragskrise.
Wer diesen Kreislauf nicht durchbricht, manövriert sich in die Sackgasse. Das ist kein theoretisches Risiko, es ist die operative Realität von zwei Dritteln aller unabhängigen Hotels.
Die globalen Konzerne zeigen gleichzeitig, wie es geht. Accor betreibt über 40 Marken – jede mit klarem Nutzenversprechen. Von ibis budget (niedrigpreisig, funktional) über Mercure (midscale, regional verankert) bis Sofitel (luxuriös, französisch geprägt) ist jede Marke eine Antwort auf eine klar definierte Zielgruppe. Marriott steuert mit mehr als 30 Marken, von Courtyard über Moxy bis Ritz-Carlton. Hyatt differenziert über Lifestyle (Andaz, Thompson), Wellbeing (Alila) und Business (Hyatt Place/House). Alle setzen auf starke Loyalty-Programme und ein klares Value Proposition Design. Sie verkaufen keine Zimmer – sie verkaufen Markenwelten.
Die unabhängigen Hotels dagegen? Sie sind immer mehr die Discounter des Gastgewerbes: billig, austauschbar, abhängiger Teil einer Plattformökonomie. Und schlimmer noch: Sie verlieren ihre lokale Strahlkraft. Während Grosskonzerne Erlebniswelten schaffen, bleiben viele Private beim «Bett mit Frühstück» stehen. Doch das reicht schon lange nicht mehr.

Von der Luxusgüterindustrie könnte man lernen, wie Profil gebaut wird. Hermès steht für Handwerkskunst und Exklusivität, Louis Vuitton für Ikonen des Reisens, Rolex für Erfolg und Beständigkeit, Patek Philippe für Zeitlosigkeit über Generationen. Jeder weiss, wofür diese Marken stehen – und genau deshalb zahlen Menschen Preise, die mit den reinen Produktionskosten nichts mehr zu tun haben. Hotels könnten dasselbe tun: Sie müssten nur den Mut haben, klar und mutig zu positionieren.
Die Praxis zeigt: Es geht. Ein kleines Boutique-Hotel in den Alpen hat sich radikal auf das Thema Mountain-Biking spezialisiert – mit Werkstatt, Guiding, Recovery-Angeboten und einem klaren Lifestyle-Touch. Resultat: 85% Direktbuchungen, eine Rate deutlich über dem Schnitt, loyale Stammgäste. Ein Stadthotel in Deutschland hat sich als «Micro-Conference-House» neu erfunden – kleine, hochmoderne Meetingräume, Brainfood-Küche, 24/7-Gastgeber. Heute ist es erste Wahl für agile Teams und Start-ups, die genau dieses Setting suchen.
Die Lehre aus dem modernen Marketing ist eindeutig: Wer nicht zur Marke wird, verschwindet. Die Zahl der geschlossenen Häuser in peripheren Regionen spricht Bände. Die Marke ist keine Kür, sie ist Überlebensstrategie. Und wer sie nicht hat, wird verdrängt – von Ketten, von Plattformen, von Gästen, die mehr erwarten als ein «Zimmer mit Frühstück».

In 90 Tagen zur Marke: Roadmap für unabhängige Hotels (mit Beispielen aus der Schweiz)
Wie im Kommentar erwähnt: Die Marke ist kein Luxus, sondern Überlebensstrategie. Unabhängige Hotels, die nicht zur Marke werden, bleiben austauschbar und verlieren im Preiswettbewerb. Mit einem klaren, strukturierten Vorgehen lässt sich jedoch innerhalb von 90 Tagen eine scharfe Positionierung entwickeln, kommunizieren und umsetzen. Die folgende Hotel Inside-Roadmap zeigt praxisnah, wie kleine und mittlere Hotels Schritt für Schritt den Weg von der Beliebigkeit zur Marke gehen können – ergänzt mit anonymisierten Beispielen aus der Schweiz und Deutschland.
Tag 1–14: Diagnose und Analyse
- Ehrlicher Blick auf Ist-Situation: Gästestruktur, Herkunft, Buchungskanäle, Deckungsbeiträge.
- Welche Zielgruppen buchen heute wirklich – und wo verdient das Hotel am meisten?
- Stärken-Schwächen-Analyse: Wo begeistert das Haus, wo häufen sich Reklamationen?
- Klärung: Welche Ressourcen sind unveränderbar (Lage, Gebäude), welche flexibel (Services, Kooperationen)?
Beispiel CH: Ein Dreisternehaus in Graubünden stellt fest, dass 70% der Gäste Mountainbiker sind – doch das Angebot ist auf Familien zugeschnitten. Erkenntnis: Potenzial liegt im Biking.
Beispiel DE: Ein Hotel an der Ostsee entdeckt, dass die meisten Gäste Kurzurlauber aus Berlin sind – nicht Familien, sondern Paare. Die bisherige Kinderanimation bindet kaum Nachfrage.
Tag 15–28: Strategische Entscheidung
- Wahl einer klaren Zielgruppe und Definition eines Hauptnutzens.
- Formulierung der Positionierungsformel: «Für (Zielgruppe) sind wir (Kategorie) in (Ort), weil wir (Hauptnutzen) durch (Signature-Leistungen) garantieren.»
- Mut zum Verzicht: Nicht alles für alle, sondern fokussierte Exzellenz.
Beispiel CH: Das Haus in Graubünden entscheidet sich für die Positionierung als «Bike-Lodge mit alpinem Lifestyle».
Beispiel DE: Das Ostseehotel wählt «Adults-only Hideaway für Paare, die Entspannung suchen».
Tag 29–42: Proof Points und Signature Moments
- Entwicklung von 3 bis 5 Schlüsselerlebnissen, die das Markenversprechen greifbar machen.
- Beispiele: spezielles Begrüssungsritual, kuratierte Aktivitäten, charakteristisches Frühstücksformat.
- Alle Touchpoints auf Konsistenz prüfen (Website, Check-in, Zimmerausstattung, Kommunikation).
Beispiel CH: Einrichtung einer Bike-Werkstatt, tägliche geführte Touren, Recovery-Smoothies im Frühstücksangebot.
Beispiel DE: Einführung von «Couples-Rituals» im Spa, Candlelight-Frühstück bis 12 Uhr, Begrüssungscocktail für Paare.
Tag 43–56: Marken-Codes und Storytelling
- Definieren von visuellen Codes (Farbwelt, Typo, Materialien) und Tonalität.
- Entwicklung einer klaren Markenstory, die kurz und prägnant kommunizierbar ist.
- Orientierung an Luxusmarken: Wiedererkennung durch Mikrodetails und Rituale.
Beispiel CH: Farbwelt in sportlich-dynamischen Tönen, Story: „Ride in – relax out“.
Beispiel DE: Farbwelt in warmen Naturtönen, Story: «Zweisamkeit am Meer».
Tag 57–70: Preis- und Angebotsarchitektur
- Preise logisch und wertorientiert strukturieren (Good/Better/Best).
- Pakete entwickeln, die das Markenversprechen unterstreichen (statt Rabatten).
- Wertkommunikation schärfen: Der Preis erzählt die Geschichte der Marke.
Beispiel CH: «Basic Ride» (Übernachtung + Frühstück), «Signature Ride» (mit Tour & Recovery), «Pro Ride» (inkl. Coaching & Massagen).
Beispiel DE: “Cozy Break“ (2 Nächte), “Romantic Weekend“ (mit Dinner & Spa), “Signature Escape“ (mit Treatments & Late Check-out).
Tag 71–80: Sichtbarkeit und Vertrieb
- Entscheidung über Kanäle: Welche OTAs nur zur Reichweite, welche exklusiv im Direktvertrieb?
- Aufbau von Owned Media (Newsletter, Blog, Guides).
- Content auf die Zielgruppe zuschneiden: Nischen-Communities, Kooperationen, Storytelling.
Beispiel CH: Kooperation mit Bike-Magazinen, Content zu Trails, Social-Media-Partnerschaften mit Influencern.
Beispiel DE: Kooperation mit Lifestyle-Magazinen für Paare, Content über romantische Kurzurlaube.
Tag 81–90: Team, Training und Launch
- Markenversprechen ins Team übersetzen: Verhaltensanker, klare Guidelines, Schulungen.
- Interner Soft Launch: Test bei Stammgästen und im Direktkanal.
- Messen und Nachjustieren: Preisprämie, Direktanteil, Wiederkehrraten, Gäste-Feedback.
Beispiel CH: Team wird auf Begrüssungsritual «Ride & Relax» trainiert, Feedback-Runden mit Stammgästen.
Beispiel DE: Mitarbeitende lernen, «Couples Moments» konsequent zu gestalten, Feedback durch Gästebefragungen.
In 90 Tagen lässt sich keine globale Marke erschaffen – aber eine klare, differenzierte Positionierung, die als Fundament für langfristigen Markenerfolg dient. Die Beispiele aus der Schweiz und Deutschland zeigen: Der Weg ist realistisch, pragmatisch und notwendig. Wer ihn nicht geht, bleibt austauschbar – wer ihn geht, gewinnt Zukunft.
Weiter Fragen oder Anregungen? Schreiben Sie mir!
h.amrein@hotelinside.ch
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