Das beste Hotel der Welt? Gibt es nicht. Es gibt viele hervorragende Hotels auf diesem Planeten, die wunderbare Erlebnisse bieten. Hotels, die glasklar positioniert und demzufolge einzigartig sind – und die sich deutlich von ihren Mitbewerbern differenzieren.
Ich studiere das jüngste Hotelrating von «Travel & Leisure», wo die «besten Hotels der Welt», die «besten Hotels Europas» und die «besten Resorts» aufgelistet sind. «Travel & Leisure» ist eine der renommiertesten Tourismusplattformen der Welt und verleiht jedes Jahr einen Award für die «Besten» der Branche. Auf den ersten Platz hat es in diesem Jahr das von der US-Hotelgruppe Rosewood betriebene «Castiglion del Bosco» in Montalcino (Toskana) geschafft. In der Tat ein Traumresort, bestehend aus historischen Häusern, Dorfplatz, Top-Gastronomie, Wellness, Rebberg und eigener Kirche. Das toskanische Resort hat den Award in gleich drei Kategorien erhalten.
Ich gehe die ganze Liste der «besten Hotels der Welt» und der «besten Hotels in Europa» durch – und warte auf den Moment, bis das erste Schweizer Luxushotel auftaucht. Platz 5: Royal Mansour Marrakech (Marokko). Platz 7: Capella Obud, Bali (Indonesien). Platz 16: Raffles, Istanbul. Platz 23: Shangri-La the Shard, London. Platz 40: La Réserve, Paris. Platz 63: Four Seasons Hotel Kyoto (Japan). Platz 84: Mandarin Oriental, Bangkok. Platz 87: Le Bristol Paris (Oetker Collection). Platz 100: Taj Lands End, Mumbai (Indien).
Wo auf der Liste sind denn die Schweizer Luxushäuser? Park Hotel Vitznau, The Alpina Gstaad, The Dolder Grand Zürich, Beau Rivage Palace Lausanne, Les Trois Rois Basel, um ein paar Beispiele zu nennen. Ich gehe die Liste nochmals durch und entdecke kein einziges Schweizer Hotel im Rating! Italien ist mit mehreren Luxushäusern prominent vertreten, Frankreich ist auch dabei, Österreich, Deutschland, Griechenland, Spanien, Kenia, die Karibik, USA, England usw. Aber die Schweiz – existiert schlicht nicht. Sind unsere Luxus- oder 5-Sterne-Häuser in der Tat so schlecht, so dass sie es nicht auf die Liste schaffen? Spielen unsere Luxushotels tatsächlich nur in der zweiten Liga? Und überhaupt: Ist dieses Rating seriös und repräsentativ – oder sind die Einträge gar gekauft?
Tatsache ist: Die Einträge bei «Travel & Leisure» sind nicht gekauft, die Bewertungsmethode gilt als seriös, das Rating als unabhängig und weltweit anerkannt. Also, warum schaffen wir es nicht auf die Liste der «Besten»? Die Antwort bleibt ein Rätsel. Ich vermute, dass man im fernen Amerika die Schweiz ganz einfach nicht wahrnimmt. Schweiz? Wo ist das? Oder macht «Schweiz Tourismus» einen miesen Job, so dass die Amerikaner unsere Top-Häuser nicht kennen? Kann ich mir nicht vorstellen, denn «Schweiz Tourismus» hat auch in den USA ein ziemlich gutes Netzwerk.
Mir gehen die Schweizer Hotelratings durch den Kopf. Alle Jahre wieder werden die «besten Schweizer Hotels» gekürt – in der «Bilanz», im «Gaut & Millau», in der Sonntagszeitung. Motto: Wir sind die Besten! Weltspitze! Der Superlativ feiert Hochkonjunktur: einzigartig, phänomenal, super, wunderbar, unschlagbar…
Phänomenal, unschlagbar. Sind wir das wirklich? Oder sind unsere Luxushäuser in St. Moritz, Zermatt, Genf oder Zürich ganz einfach veraltete Hoteltempel mit langer Geschichte, die ihre Hochblüte im 19.Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts hatten? Und was ist mit unseren Hotelkönigen: Cäsar Ritz, Johannes Badrutt, Alexander Seiler? Kein Zweifel, Ritz, Badrutt & Co. setzten Massstäbe in der internationalen Luxushotellerie, sie waren die Erfinder der Grandhotellerie. Und jetzt? Erinnern nur noch Grabsteine und andere Skulpturen an die glorreiche Zeit der Schweizer Hotellerie des 19./20. Jahrhunderts…
Auf der Weltkarte der Luxushotellerie des 21. Jahrhunderts scheinen wir nicht mehr zu existieren – zumindest im Hotelrating von «Travel & Leisure».
Ich kann Sie, liebe Hotelinsiderinnen und Hotelinsider, beruhigen: In den meisten Hotelratings dieser Welt sind wir mit unseren Top-Häusern präsent. Zwar nicht auf den ersten Plätzen, aber ins Mittelfeld schaffen wir es problemlos. Immerhin.
Hans R. Amrein
Gesellschafter & Chefredaktor
