Wolf-Thomas (Thommy) Karl, stellvertretender Chefredaktor bei Hotel Inside, Publizist und Kommunikationsexperte im Hospitality-Bereich, spricht mit spannenden Persönlichkeiten aus der Welt der Hotellerie in der DACH-Region. Diesmal: Johannes Jungwirth, Direktor des Themenhotels Rheinland in der ehemaligen deutschen Bundeshauptstadt Bonn.
Johannes Jungwirth studierte Archäologie und anschließend Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkt Tourismus. Als er das alteingesessene Hotel vor beinahe sieben Jahren übernommen hatte, sah er sich mit einer schwierigen Marktsituation konfrontiert. Johannes Jungwirth suchte nach einer Lösung, um mit einem kleinen Privathotel nicht in der Versenkung zu verschwinden. Und hatte eine ganz besondere Idee…
Johannes Jungwirth, wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, das Konzept eines Botschaftshotels bzw. eines Themenhotels zu entwickeln und wer oder was hat Sie dazu inspiriert?
Nun, als ich Anfang 2018 die Stelle als Hoteldirektor angetreten bin, war die Hotellandschaft in Bonn im Umbruch. Mehrere namhafte Häuser der Kettenhotellerie waren im Bau. Über 600 neue Zimmer – und das im Budget-Segment – wie soll da ein alteingesessenes, privat geführtes Hotel mit 31 Zimmern mithalten können? Einfach „nur“ renovieren kam für mich nie in Frage, am Preis zu rütteln ist für ein Haus wie unseres unwirtschaftlich. Also mussten wir uns etwas einfallen lassen, das den Gast konkret dazu bewegt, unbedingt im Hotel Rheinland zu übernachten. In Gesprächen mit dem Inhaber Michael Schlösser kam uns dann recht schnell die Idee einer Zeitreise, wie sie nur in Bonn möglich ist: nämlich mit der augenzwinkernden Wiederbeschaffung der Botschaften. Eine Reise in die Zeit der Bonner Republik, als sich hier Diplomaten die Klinke in die Hand gaben und Weltpolitik in der kleinen Stadt am Rhein gemacht wurde. Kennedy, Breschnew, De Gaulle, die Queen – alle waren in Bonn zu Gast.
Und wie haben Sie dieses „Botschaftshotel“ inszeniert?
Eine besondere Inspiration war dafür nicht notwendig. Als studierter Archäologe bin ich mit der Macht der Bildersprache bestens vertraut. Ein Bild der Queen, ein „Rotes Telefon“, ein Globus aus den 80er Jahren, gedruckte Reden von Fidel Castro. Der Erlebnisfaktor im Hotel spielt heutzutage eine viel größere Rolle als früher. Die Städtetour beginnt nicht mit dem Besuch des ersten Museums, dem ersten Essen oder einem Theaterbesuch. Alles beginnt mit dem Check-in im Hotel oder gar der Vorfreude darauf. Die Bonner Stadtgeschichte gab mir eine Steilvorlage für ein Hotel mit historischem Charakter. „Back to the Bundeshauptstadt“ sozusagen!
Wie reagieren die Gäste auf die einzigartige Gestaltung der Zimmer? Gibt es bestimmte Länder, die besonders beliebt sind?
Die schönste Reaktion bekam ich vor ein paar Tagen von Gästen des nagelneuen Vatikan-Botschaftszimmers. Sie standen vor dem großen Beichtstuhl und meinten nur: „Oh mein Gott! Wie großartig ist DAS denn?“ Das Überraschende, Einzigartige, das ist es, was unsere Gäste so fasziniert. Natürlich weiß ich nicht, wie das Schlafgemach des Botschafters der Vereinigten Staaten in den 70er Jahren ausgesehen hat, als der Präsident Richard Nixon hieß, aber die vielen kleinen und großen Designobjekte – größtenteils Originale der Zeit – machen die Zimmer nicht nur authentisch, sie vermitteln vor allem auch echtes Zeitgeschehen einer vergangenen Epoche. Sie machen sie somit erlebbar.
Gibt es hier bestimmte Länder, die besonders beliebt sind?
Es gibt keinen eindeutigen Favoriten bei den Botschaftszimmern, aber natürlich finden es beispielsweise englische Gäste ganz charmant, unter dem strengen Blick von Margret Thatcher ein Schlückchen Gin vor dem Schlafen zu genießen.
Welche Herausforderungen bringt es mit sich, ein Hotel mit einem so spezifischen und themenorientierten Konzept in Bonn zu betreiben?
An erster Stelle muss vermutlich der zündende Funken genannt werden. Man sieht sich ja mit vielen Fragestellungen und Hürden konfrontiert. Was also kann ein Konzept ausmachen, das erstens außergewöhnlich oder gar einzigartig ist (USP) und zweitens wirtschaftlichen Erfolg verspricht? Hier liegen die großen Stärken der Privathotellerie. Denn wer schreibt uns schon vor, was wir zu tun und lassen haben? Man kann das „Produkt“ Hotel ganz neu bespielen, wenn man nur will. Es braucht Ideen, um die Leistungen, um das Kernprodukt von Übernachtung und Frühstück etwas zu „pimpen“. Die Idee der reinen Übernachtungsleistung hat sich in den Gedanken vieler, nicht nur jüngerer Reisender, längst gewandelt. Als wir uns auf die Idee „Das Hotel mit Botschaft“ verständigt haben, ging für mich der weitaus spannendere Teil der Arbeit los.
Die Idee klingt echt spannend. Aber die Umsetzung stellte Sie sicher vor einige Herausforderungen. Oder?
Ja, wie soll man so etwas überhaupt umsetzen können? Es gibt keine Blaupausen für Botschaftszimmer, kein Hotelausstatter hat passendes Mobiliar im Angebot. Wo kommen, wenn möglich, originale Designelemente aus den 70ern und 80ern her? Als erstes entsteht ein Botschaftszimmer im Kopf. Hier ist Fantasie gefragt! Welches Land soll es sein? Was ist da interessant genug? Als Partner habe ich von der ersten Minute an das Bonner Stadtarchiv ins Boot geholt. Die großformatigen Bilder von Staatsbesuchen samt Erklärungen sind ein elementar wichtiger Bestandteil der Zimmer, die auch gerne mal als inoffizielle Außenstelle des Hauses der Geschichte in Bonn bezeichnet werden. Jeder weiß, dass Kennedy in Berlin war. Aber in Bonn? Noch weniger wissen, dass Nixon und Eisenhower ebenfalls am Rhein waren. Die Bilder vermitteln auf anschauliche Weise Wissen, ähnlich einem Museum. Das Botschaftszimmer muss komplett zu Ende gedacht werden. Es gibt vieles zu entdecken in den Schubladen der alten Schreibtische und Kommoden. Originale Life-Magazine aus den 70ern, Audiokassetten aus den 80ern, ein originales rotes Telefon aus Sowjetbeständen oder eine Flagge der „Bewegung 26. Juli“, die zur Revolution in den 50er Jahren über Havanna wehte. Wir haben es verstanden, aus einer Übernachtungsleistung eine Zeitreise mit Lehrauftrag zu entwickeln.
Sie haben jeweils reichlich zu den unterschiedlichen „Botschaftsthemen“ recherchiert: Wie aber integrieren Sie die Kultur und den Charakter der verschiedenen Länder in die Gestaltung der Zimmer, um ein authentisches Erlebnis zu schaffen?
Die Zimmer müssen immer auch im kulturellen Gesamtkontext gesehen werden. Also zeitlich, politisch und gesellschaftlich. Wie stolz war man in der UdSSR doch, mit Juri Gagarin den ersten Menschen ins Weltall befördert zu haben und natürlich auch die Hündin Leika? Nur folgerichtig finden sich in der Botschaft der Sowjetunion auch Tagesdecken mit dem Emblem des sowjetischen Raumfahrtprogramms und ein Propagandabild mit Gagarin. Was wäre eine englische Botschaft ohne Teeservice? Kann ein US-amerikanischer Botschafter an einem Schreibtisch ohne eine Kristallkaraffe mit Bourbon arbeiten? Alles, was ich mir in den Jahren für die Botschaftszimmer ausgedacht habe, ist natürlich immer mit einer gewissen Leichtigkeit und mit Humor zu verstehen. Auch wenn mir keine Bilder aus den Schlafgemächern des Botschaftspersonals der Bonner Republik bekannt sind, erlebte ich eine große Überraschung, als ich auf dem Antiquitätenmarkt einen Bildband mit den ausgestellten Kunstgegenständen in der englischen Botschaft in Bonn ausfindig machen konnte. Darin fanden sich Aufnahmen der öffentlichen Bereiche der Botschaft. Und vieles, was ich mir für die Botschaft „erdacht“ hatte – also die meiner Meinung nach passenden Möbelstücke, Tapeten und Lampen – sind erstaunlicherweise gar nicht so weit von der originalen Ausstattung entfernt.
Hat das Botschaftsthema dazu beigetragen, eine engere Verbindung zwischen dem Hotel und der Stadt Bonn, insbesondere im diplomatischen Umfeld, herzustellen?
Man muss leider sagen, dass das Gros des diplomatischen Corps Bonn wirklich Ende der 90er Jahre verlassen hat. Es finden sich, was die Botschaften angeht, nur noch Reminiszenzen im Stadtbild. Qatar unterhält nach wie vor ein Konsulat, ebenfalls Russland und andere Staaten. Meine Versuche der Kontaktaufnahme mit dem kubanischen Konsulat in Bonn blieben ohne Ergebnis. Was jedoch als erstaunliche Entwicklung betrachtet werden kann, ist das große öffentliche Interesse an unserem Konzept als Botschaftshotel. Eine Vielzahl bundesweiter journalistischer Berichterstattung über alle Medien hinweg spiegelt die Einzigartigkeit des Hotels seit dem ersten Zimmer wider. Neben dem Stadtarchiv schickt die „Bonn Information“ immer wieder kleinere „Delegationen“ ins Hotel. Auch Politiker schauen mitunter vorbei, um neueröffnete Botschaften zu besuchen und auf der großzügigen und komplett neu gestalteten Terrasse einen Kaffee oder ein Bier zu genießen. Was mich aber am meisten freut, ist die Akzeptanz in der Bonner Bevölkerung. Als Gäste haben wir erstaunlich viele Bonner oder Menschen aus dem nahen Umfeld. Nicht selten sind es Gäste, die zur Zeit der Bonner Republik in einem Ministerium arbeiteten. Und die bringen Geschichten mit, die auch in das Gesamterlebnis des Hotels mit Botschaft mit einfließen. Ein ehemaliger Personenschützer hat mir sogar seinen Sicherheitsausweis vom Tag des Besuchs von Breschnew auf dem Flughafen Köln/Bonn samt Bild zur Verfügung gestellt. Häufig sieht man Gäste morgens in den „diplomatischen Besprechungsraum“ bzw. Frühstücksraum kommen und erst einmal verdutzt nach Orientierung suchen. Der gesamte Raum ist mit Zeitungsseiten von wichtigen Ereignissen zu Hauptstadtzeiten tapeziert und teils mit großformatigen Bildern von Politikern in Alltagssituationen der Bonner Republik ausgeschmückt. Nicht selten läuft der Gast dann schnurstracks am Buffet vorbei Richtung Wand und fängt an zu lesen. „Ach stimmt ja! Der war auch hier in Bonn. Und die Queen! Ja, damals war hier echt was los!“
Wenn dann noch der Enkel mit dabei ist und von den Großeltern etwas zu Bonn, ja der deutschen und internationalen Geschichte lernen kann und dann nach einem guten Schlaf und gesundem Frühstück heimfährt, dann haben mein großartiges Team und ich alles richtig gemacht.
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