Zwei Michelin-Sterne, 19 Punkte Gault & Millau. Heiko Nieder wusste schon als Kochlehrling, dass er in der Champions League der europäischen Spitzengastronomie spielen will. Seit der Wiedereröffnung des „The Dolder Grand“ arbeitet sich der gebürtige Hamburger nun über den Dächern von Zürich mit beflissener Perfektion in den Olymp der europäischen Spitzenköche.
Hotel Inside-Publizist Hans R. Amrein sprach mit Heiko Nieder über seine Kochkunst, vegane Küche, Restauranttester und neue Food-Konzepte:
Der Küchen-Artist vom Zürichberg
Sellerie und Gurke zum Dessert. Ja, das geht! Ein phänomenales Bild, und erst die Kombination mit Heidelbeeren. Eine Kreation, wie gemacht für die Linse eines Food-Fotografen. Es ist kurz vor 14 Uhr, der Chef auf seiner Runde durchs Lokal. Fünfzehn Tische, sechzig Couverts höchstens, heute Mittag waren es sechs. Fine Dining findet im Dolder Grand mit Vorliebe abends statt, wenn die Original-Pinselstriche von Dali, Pissarro und Hodler in stimmigen Kerzenschein getaucht sind. Dann serviert Heiko Nieder auch sein Tasting-Menu, stellt zusammen mit seiner Küchencrew seine zwei Sterne und 19 Gault-Millau-Punkte unter Beweis, lebt seine Liebe zum Beruf kompromisslos aus.

Dabei wollte der gebürtige Hamburger und Vater einer Tochter gar nicht Koch werden – weil Köche in der Regel dick sind. Diese Mär hatte ihren Ursprung wohl bei der Grossmutter, die in einer Kantine tätig war. Der junge Heiko jedenfalls absolvierte sein Schulpraktikum in einem Tee- und Vanille-Kontor, in der Meinung, den Beruf des Handelskaufmanns zu erlenen – und verfing sich in den Düften. Wenn schon Koch, dann aber nur in einem der besten Häuser der Stadt. Und das war eben das „Vier Jahreszeiten“. Es folgten Stationen im Le Canard in Hamburg, im Hotel zur Traube in Grevenbroich und im Restaurant Vau in Berlin. Im L´ Orquivit in Bonn, wo er bis zu seiner Übersiedlung in die Schweiz tätig war, erhielt Heiko Nieder 2004 den Titel „Entdeckung des Jahres“.
Zürich ist ein anderes Pflaster. Vor allem hat ihn erstaunt, wie viele „vegetarische Gäste“ es hier gibt. Nieder wusste auf das Bedürfnis zu reagieren, serviert sämtliche Amuse bouches ohne Fleisch und Fisch und beweist beim Fünfgang-Menu, dass auch Kopfsalat und Spinat mit Hagenbuttenkäse und Pfifferlingen eine Offenbarung sein können. Seine Experimentierfreude ist schier grenzenlos, den Hummer setzt er in Kontrast zu Schinken, Pistazien und Schokolade, die Schwertmuscheln werden mit Gänsemastleber, Tomate und Thymianblütenhonig gekrönt. Es sind durchs Band weg aufwändige Speisen, die stets auf der klassischen französischen Küche aufbauen. „Wenn ich eine Jakobsmuschel roh serviere, dann nur deshalb, weil sie roh am besten zur Geltung kommt und nicht, weil ich der Meinung bin, nun auch noch japanisch kochen zu müssen.“

Was Heiko Nieder in „seinem“ The Restaurant im Dolder Grand zelebriert, ist höchst erstaunenswert. Nun, könnte man sagen, er hat es leicht: Etwa 15 Tische, 10 bis 12 Köche, ebenso viele Top-Mitarbeiter im Service. Das Design und die Materialität des Lokals nur vom Feinsten, Dali’s und andere Originale an den Wänden, ein Weinkeller mit allem, was Rang und Namen hat – und eine Eigentümerschaft, die nicht in erster Linie mit dem Hotel Geld verdienen muss. Sicher: Heiko Nieder, der das „The Restaurant“ völlig autonom führt, kann entspannter rechnen als viele seiner Kollegen. Doch unter dem Strich zählt seine Leistung als Koch, seine Leidenschaft für das, was er tut. Und da gilt es den Hut zu ziehen. Der gebürtige Hamburger ist zweifellos einer der besten Sterneköche Europas. Er schafft es wie kaum ein anderer Koch, verrückte, ungewöhnliche Ideen kompromisslos, aber immer auf der Basis der soliden französischen Küche umzusetzen, ohne dabei in Abenteuer und blosse Experimentierlust zu verfallen.

Interview mit Heiko Nieder zu seinem Buch

HEIKO, 2018 HAST DU MICH GEFRAGT, OB ICH DIE TEXTE FÜR DEIN ERSTES KOCHBUCH SCHREIBEN WÜRDE, UND ICH HABE NATÜRLICH SOFORT ZUGESAGT. ABER WANN HAST DU ERSTMALS DARÜBER NACHGEDACHT, EIN EIGENES BUCH ZU VERÖFFENTLICHEN?
Als Koch denkt man wahrscheinlich darüber schon nach, sobald die Lehre abgeschlossen ist. Aber konkret wurde es bei mir 2017. Damals haben wir angefangen, so zu arbeiten, dass daraus ein Buch entstehen kann. Das heisst, wir haben jedes Gericht in der jeweiligen Jahreszeit genau rezeptiert und anschliessend die Rezepte überprüft, um sicherzustellen, dass sie auch wirklich funktionieren.
WIE IST ES JETZT, VIER JAHRE SPÄTER, DAS FERTIGE BUCH IN DEN HÄNDEN ZU HALTEN?
Es ist ja keine Überraschung an sich mehr, weil ich das Buch in den Jahren des Entstehungsprozesses immer wieder gesehen habe. Aber eine gewisse Verwunderung, dass es jetzt tatsächlich da ist, gibt es schon. Das ist schon auch ein Traum, der wahr wird.
DU HATTEST IMMER KLARE VORSTELLUNGEN VON DEINEM EIGENEN KOCHBUCH. WAS WAR DIR WICHTIG?
Ich habe natürlich viele Kochbücher zu Hause und weiss, was mir gefällt, ohne dass ich ein konkretes Buch als Vorbild nehmen würde. Aber ich wollte zum Beispiel ein Papier, auf dem die Farben gut zur Geltung kommen. Grosse Fotos waren mir wichtig, damit auch die Details eines Gerichts erkennbar sind. Die Rezepte sollten in der Nähe des dazugehörigen Bildes sein, weil ich es anstrengend finde, wenn man danach lange suchen muss, oder sogar noch einen extra Band oder eine CD mit den Rezepten braucht. Es gibt zu jedem Gericht einen kleinen Text, damit der Leser sofort einen Eindruck erhält, auch wenn er es nicht kennt oder noch nicht gegessen hat. Und vor allem war mir wichtig, ein authentisches Buch zu machen. Die Rezepte sind so, wie wir sie zubereiten und nicht für den Hausgebrauch vereinfacht. So gesehen ist es kein Buch, das jeder einfach nachkochen kann, sondern ein Werk für Geniesser oder eine Erinnerung für unsere Gäste.
DIE GERICHTE WIRKEN DURCH DIE FOTOGRAFISCHE INSZENIERUNG FAST SCHON SKULPTURAL, WESHALB WOLLTEST DU SIE SO ABBILDEN?
Der künstlerische Aspekt ist eher zufällig entstanden. Eigentlich ging es nur darum, die Gerichte in hoher Detailtreue abzubilden, und wirklich das Essen mit allen Feinheiten in Szene zu setzen. Dafür haben wir teilweise die Teller weggelassen, um kein Element der Ablenkung zu haben. Schliesslich haben wir verschiedene, teilweise farbige Hintergründe verwendet, damit die Bilder nicht langweilig werden.
OB DAS BUCH JE ERSCHEINEN WIRD, WAR NICHT IMMER KLAR. ES KAM DIE CORONA-KRISE DAZWISCHEN UND EIN VERKAUF DES VERLAGS. HATTEST DU DIE HOFFNUNG, DASS ES DOCH NOCH HERAUSKOMMT, IRGENDWANN GANZ VERLOREN?
Die Hoffnung hatte ich nie aufgegeben, aber das Projekt gedanklich auf Eis gelegt, um mich nicht zu sehr damit beschäftigen zu müssen. Aber wenn ich eines in meinen Jahren in der Schweiz gelernt habe, ist es, dass alles seine Zeit braucht. Ein paar Dinge in meinem Leben sind vielleicht zu schnell passiert, dass dieses Buch jetzt etwas länger gebraucht hat, ist deshalb absolut in Ordnung.
Autor: David Schnapp
Bilder: Fabian Häfeli
Quelle & Copyright: Gaut & Millau Schweiz, Juli 2021
The Dolder Grand Gastronomie (PDF)
Heiko Nieder
The Restaurant
Das Kochbuch
Sterne-Küche par excellence mit Heiko Nieder
Im legendären Hotel The Dolder Grand in der Schweiz befindet sich mit The Restaurant ein mehrfach ausgezeichnetes Restaurant, das seinesgleichen sucht. Hier hat Spitzenkoch Heiko Nieder seine unverwechselbare kulinarische Handschrift entwickelt. Gerichte, die überraschend und präzise sind, vergleichbar mit sorgfältig geplanten Prachtbauten. Dieses edle Kochbuch gibt einen exklusiven Einblick in die herausragende Kochkunst von Heiko Nieder. Nach seiner Ausbildung zum Koch im Grandhotel Vier Jahreszeiten, Hamburg, arbeitete Heiko Nieder in mehreren Spitzenrestaurants. Sein stetiger Aufstieg vom Commis zum Chef de Cuisine wurde 2005 mit einem Stern gekrönt. Seit 2008 ist er Küchenchef im The Restaurant im Hotel The Dolder Grand in Zürich. Im Guide Michelin ist er aktuell mit zwei Sternen ausgezeichnet, im Gault & Millau mit 19 Punkten. Außerdem wurde er vom Gault & Millau Schweiz zum „Koch des Jahres 2019“ gewählt.
Heiko Nieder
The Restaurant
Das Kochbuch
ISBN 978-3-98541-047-
384 Seiten, 270 x 330 mm







