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Hotel Inside History: Kempinski – Gastlichkeit seit 1872…

Kempinski, ein Flaggschiff der deutschen Markenhotellerie, gilt neben Steigenberger als der dominierende deutsche Name der Nachkriegshotellerie. Derzeit befindet sich Kempinski jedoch in einem tiefgreifenden Wandel, denn die neue CEO, Barbara Muckermann, ist gerade damit beschäftigt, die Luxushotelgruppe neu aufzustellen (vgl. Interview auf Hotel Inside). Doch auch an der historischen „Front“ tut sich was, wie der Hotel-Historiker Andreas Augustin schreibt.

Die Kempinskis waren Pioniere der Systemgastronomie und Besitzer verschiedener Berliner Restaurants. Was sie damals, Ende des 19. Jahrhunderts, nicht waren: Hoteliers. Als Juden wurden die Kempinskis vom Nazi-Regime enteignet, vertrieben, einige in KZs ermordet. Heute vermittelt die Kempinski-Hotelgruppe, dass sie „Hoteliers seit 1897“ seien. Dafür lassen sich – trotz genauer Recherche – keine Nachweise finden. Hier die historischen Hintergründe mit einem konstruktiven Vorschlag:

Berthold Kempinski.

Die Ära Kempinski beginnt mit einem entschlossenen Berthold Kempinski aus Breslau (1843–1910), heute Westpolen, der sich aufmacht, die Seele der Hauptstadt des Deutschen Reiches, Berlin, zu erobern. Und die Seele lag, das ahnte er schon, im Bauch. Um 1870 eröffnet er eine Weinhandlung in der Friedrichstraße 178, die 1872 in das Handelsregister eingetragen wird.
Das „Weinhaus“ Kempinski wird zu einer Institution. Es ist volkstümlich, populär in jeder Hinsicht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, am Höhepunkt der Ära Berthold Kempinski, jubelt die Presse: „7200 Gäste und 20 000 Austern täglich — Kaviar fürs Volk — Kellereien — Bäckerei und Wäscherei — Hygienische Einrichtungen — Kein Tisch ist leer.“ 
 

Weinhaus Kempinski (Cardiner Saal), um 1910.

Kempinski bleibt dabei – mit seiner Frau Helen – am Boden der Realität: Es gibt natürlich Eisbein mit Sauerkraut und die bürgerliche Küche, doch, und das war das Besondere – für jedermann erschwinglich auch die „feinsten Spezereien“ wie Austern in jeder Form, Krebse, Kaviar, Waldschnepfen, sogar Kiebitzeier. Das Geheimnis: Luxus zu volkstümlichen Preisen. Damit kam Kempinski tatsächlich auf die unglaublichen Zahlen wie 7200 Gäste täglich, einen Jahresumsatz von 9 Millionen Mark, bis zu 20 000 Austern täglich und einen jährlichen Kaviarbedarf in der Höhe von 300.000 Mark.

Es kommt noch „doller“: Kempinski hat eine eigene Bäckerei und Wäscherei, eine eigene Anstalt zur Versilberung des Geschirrs, eine eigene Porzellanmalerei, in der das von der Fabrik bezogene, nicht dekorierte Porzellan bemalt sowie Gläser mit Goldrand versehen werden. Die Bäckerei bäckt an einzelnen Tagen bis zu 17 000 Brötchen, aus der Wäscherei gehen bis zu 20 000 Servietten neu gewaschen und gebügelt hervor. Damit versorgt er nicht nur sein Restaurant, sondern auch viele andere Gastwirtschaften, die – eine Novität – leihweise Tischwäsche beziehen. Eine Flaschenspülanlage reinigt täglich 10 000 Flaschen, eine eigene Müllverbrennungsanlage wird installiert. Kempinski ist auch in sozialen Belangen Vorreiter: für den Notfall gibt es eine Unfall- und Krankenstation. 

Die verbreitete Sitte, Speisereste neuerlich zu verwerten, wird durch das Prinzip, dass alles, was einmal die Küche verlassen hat, dorthin nicht zurückkehren darf, aus der Welt geschafft. Ein Teil der Küchenabfälle wird zu Seife verarbeitet, ein Teil als Viehfutter verwertet oder an chemische Fabriken verkauft. Allein daraus erlöst Berthold Kempinski 20 000 DM im Jahr. Seine Standards können als ein früher Meilenstein der Systemgastronomie gewertet werden.

Kempinski hat also leicht lachen, einmal soll er gesagt haben: „Sie finden bei mir den Reichstagspräsidenten und Abgeordnete aller Fraktionen genauso, wie den Jüngling, der in die Portokasse gegriffen hat. Nur eines finden Sie bei mir nie: einen leeren Tisch.“

Die Ära Unger

Berthold und Helen Kempinski hatten keine männlichen Erben. Aus diesem Grund treten ihr Schwiegersohn, der Ehemann von Tochter Frieda, Richard Unger, und ein Neffe, Hans Kempinski, in das Unternehmen ein. Der kunstsinnige Hans ist leidenschaftlicher Maler, doch Unger erweist sich als geschäftlich versiert. Berthold Kempinski zieht sich zurück, geht in den wohlverdienten Ruhestand und stirbt 1910. Bis zum Ersten Weltkrieg (1914–1918) schafft es Richard Unger, dem das Unternehmen nun gehört, einen respektablen Immobilienkomplex rund um sein Unternehmen aufzubauen.

Grab von Berthold und Helene Kempinski, Jüdischer Friedhof, Berlin Weißensee.

Ku’damm 27

Als in den 1920ern die Gegend um den Kurfürstendamm immer beliebter wird, kauft und betreibt Unger ein Restaurant am Ku’damm 27 (Kurfürstendamm 27). 1928 übernimmt Unger die Leitung des „Haus Vaterland“ am Potsdamer Platz und führt neuerlich ein aufsehenerregendes neues Restaurantkonzept ein. Eine Unterhaltungsgastronomie, wie sie Berlin noch nicht gesehen hat. Auf vier Etagen werden Köstlichkeiten serviert. Diese gastronomischen Arrangements werden von künstlerischen Darbietungen begleitet.

Kempinski wird als Restaurantier weit über die Grenzen hinaus bekannt. Er wird für Berlin, was das Sacher den Wienern, Sprüngli für Zürich – ein Synonym. Als die Weltwirtschaftskrise 1929 im Dezember auch vor Deutschland nicht Halt macht, wird das reichhaltige Austernangebot gelobt, mit dem man sich die Zeit vertreiben kann, ehe nach den auf der Speisekarte zugesagten 30 Minuten das Porterhouse-Steak für 5 bis 6 Personen serviert wird. Allerdings handelt es sich dabei immer noch nur um ein Restaurant – nicht um ein Hotel.

Während des Nazi-Regimes und des Zweiten Weltkriegs (1930er Jahre bis 1945) wird Ungers Geschäft arisiert. Richard Unger und seine Frau emigrieren in die Vereinigten Staaten von Amerika. Walter Unger, Sohn von Richard, bleibt in Deutschland, um das Unternehmen weiterzuführen. Schließlich wird er gezwungen, die Aktien des Familienunternehmens auf eine Firma namens Aschinger AG zu übertragen, und zwar im Austausch gegen sein eigenes Leben. Nach der Abwicklung dieses Handels, wird Walter Unger im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Der jüdische Name Kempinski wird vom Nazi-Regime nicht mehr akzeptiert, das oder die Restaurants werden in F.W. Borchard umbenannt.

Nach 1945 (Ende des Zweiten Weltkrieges) kann Berthold Kempinskis Enkel, Friedrich W. Unger, das Grundstück Kurfürstendamm 27 von der Firma Aschinger restituieren, die es 1937 für einen Spottpreis erworben hatte.

Hotelzimmer sind nach dem Krieg Mangelware.Unterstützt durch den Marshall-Plan wird der Bau eines Hotels genehmigt. 1952 wirdunter großem Applaus der internationalen Presse das Hotel Kempinski an dieser Adresse eröffnet. Der Name Kempinski – vor dem Zweiten Weltkrieg der Inbegriff einer erfolgreichen Restaurantkette – ziert erstmals ein Hotel. FriedrichUnger verkauft seine Anteile und versäumte es, verschiedenen Quellen zufolge, den Gewinn mit den übrigen Mitgliedern der Kempinski-Familie zu teilen.

Das Kempinski Hotel („Bristol“) Berlin wird also das erste Haus der heute international tätigen Hotelkette Kempinski. Somit kann man daher bestätigen, „Hoteliers seit 1952“. Auch wenn dieses Haus heute kein Kempinski mehr ist.

Hotel Adlon Berlin (Kempinski).

Hoteliers seit 1897…

Im Jahr 2010 fügt Kempinski unter seinem Präsidenten Reto Wittwer dem Firmennamen die Unterzeile „Hoteliers seit 1897“ hinzu. Zum Erstaunen vieler, denn zum ersten Mal überhaupt wird die Jahreszahl 1897 in Umlauf gebracht. Es sieht wie der Versuch aus, im Zeitalter des „Storytellings“ eine passende Geschichte zu fabrizieren. Da war keine Rede von Arisierung, Vertreibung und Mord. Die Hotelgruppe fühlt sich sogar einige Zeit bemüßigt, den Titel „älteste Luxushotelgruppe der Welt“ für sich zu beanspruchen.

Als 1952 das Kempinski in Berlin eröffnet wird, ist es eine Sensation. Ein Stern am Hotelhimmel. Daraus wird Jahre später eine internationale Hotelkette gleichen Namens. Es beginnt also 1952. Nehmen wir uns doch zu Herzen, was am Hotel selbst als Gedenktafel steht:

HIER STAND SEIT 1928 EIN KEMPINSKI-RESTAURANT. 

ES WAR EIN WELTWEIT BEKANNTES SYMBOL BERLINER GASTLICHKEIT. 

WEIL DIE BESITZER JUDEN WAREN, WURDE DIESE BERÜHMTE GASTSTÄTTE 1937 „ARISIERT“, UNTER ZWANG VERKAUFT. 

ANGEHÖRIGE DER FAMILIE KEMPINSKI WURDEN UMGEBRACHT, ANDERE KONNTEN FLIEHEN. 

DAS 1952 ERÖFFNETE BRISTOL HOTEL KEMPINSKI MÖCHTE, DAß DAS SCHICKSAL DER GRÜNDERFAMILIE NICHT VERGESSEN WIRD.

Kempinski-Gedenktafel.

Gegenvorschlag: Lassen Sie uns doch in die Biografie des genialen, fleißigen und erfolgreichen Berthold Kempinski eintauchen. Von seinem Innovationsgeist, Genie und kaufmännischen Talent könnte eine ganze Generation von Gastronomen und Hoteliers profitieren. Dann wäre der angebrachte Untertitel für Kempinski „Gastlichkeit seit 1872“ (Hospitality since 1872). Das klingt noch besser. Oder? Sie erreichen mich, wie immer, unter president@famoushotels.org

Bildlegende Hauptfoto: Die Kempinski Weinhandlung — eine der zahlreichen Dependancen in Berlin.

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