Ian Millar ist Professor für Unternehmertum und Innovation an der EHL Hospitality Business School im Campus Lausanne. Hotel Inside führte mit ihm wieder einmal ein Interview über aktuelle Fragen der Zeit – z.B. über die digitale Transformation in der Hotellerie, die Suche nach Talenten, Chancen der künstlichen Intelligenz (KI) und die Frage, wie man junge Hotelfachleute und EHL-Absolventen fördern und für die Branche motivieren kann.

Ian Millar, der EHL Insights Report «Hospitality Outlook 2025» skizziert globale Trends. Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie speziell für den Schweizer Hotelsektor im Hinblick auf die digitale Transformation und den sich verändernden Arbeitsmarkt bis 2025? Und wo unterscheidet sich die Schweiz von globalen Trends?
Ich glaube nicht, dass es grosse Unterschiede zwischen der Schweiz und den globalen Trends gibt, jedes Land hat seine eigenen Besonderheiten. Ich denke, wo die Schweiz einen Vorteil hat, sind die höheren Löhne im Vergleich zu anderen Ländern und der allgemein höhere Lebensstandard. Die Hotellerie ist abhängig von Arbeitskräften aus dem Ausland, darum ist die Anwerbung und die Bewilligung/Administration aufwendiger als zum Beispiel mit der Personenfreizügigkeit in Europa.

Und wie sieht es bei der digitalen Transformation aus?
Hier sind die Chancen riesig, aber die Hotellerie ist allgemein eine konservative Branche. Für mich ist die grösste Hürde bei der digitalen Transformation der Mensch. Es ist eine Frage der Denkweise, die Leute betrachten die Technologie falsch. Sie schauen zuerst auf die Kosten und sagen dann, egal was die Lösung ist, sie ist zu teuer. Wir müssen aber schauen, wer unser zukünftiger Gast ist. Es ist jemand, der mit dem Internet und Online-Shopping aufgewachsen ist, auf diese Menschen müssen wir uns konzentrieren! Wir brauchen eine „Amazon“-Denkweise.
Können Sie das erklären!
Ich gebe Ihnen ein einfaches Beispiel: der «Warenkorb», ein normaler Teil des Online-Shoppings. Versuchen Sie mal auf einer Hotelwebsite in einem „Warenkorb“ ein Zimmer mit Frühstück, eine Tischreservation für 19 Uhr und eine Spa-Behandlung für den nächsten Morgen zu buchen, und das alles in einem Schritt. Auf den meisten Hotelwebsites ist das unmöglich. Für die Hotelfachleute, die diesen Bericht lesen, möchte ich diese Frage mit einem meiner Lieblingssprüche über Technologie abschliessen: „Verliebe dich ins Problem, nicht in die Lösung“. Fangen Sie an, so zu denken, und Sie werden viel mehr Erfolg haben.

Der Fachkräftemangel ist ein akutes Problem im Schweizer Gastgewerbe. Welche konkreten, innovativen Rekrutierungs- und Weiterbildungsprogramme sehen Sie als besonders vielversprechend für Schweizer Betriebe, um Talente zu finden, zu halten und weiterzuentwickeln? Können Sie vielleicht Beispiele nennen, die bereits in der Schweiz erfolgreich umgesetzt werden?
Ja, es gibt tatsächlich einen Fachkräftemangel, aber nicht nur in der Hotellerie. In der Schweiz geben gewisse Hotels mehr auf das Mitarbeiterwohl, Vorteile, Hilfe bei der Unterkunft, aber das sollte der Standard sein, nicht die Ausnahme. Eine gute Innovation für die Rekrutierung ist die Schweizer Plattform https://www.hospitaliti.io/. Es ist eine KI-basierte Plattform für die Rekrutierung in der Hotellerie. Sie hat zwei Schwerpunkte: Die Candidate Experience, die ehrlich gesagt bei der Stellensuche nicht optimal ist. Es ist ein mühsamer Prozess mit vielen E-Mails, Lebensläufen und Motivationsschreiben. Dann hört der Kandidat nie mehr etwas von seiner Bewerbung, sehr frustrierend. Dann von der Hotelseite aus ist es viel administrativer Aufwand, all die Bewerbungen und PDF-Dokumente durchzuschauen. Die Plattform, die ich gerade erwähnt habe, hat all diese Probleme gelöst, mit einem KI-Chatbot für Kandidaten, der über die Mitarbeitererfahrung, die Vorteile und den Status ihrer Bewerbung informiert. Für den Betreiber ist die Admin-Seite KI-gesteuert und generiert sogar eine potenzielle Kandidatenliste. Also von den 300 Leuten, die sich beworben haben, wer sind die Top 10, die am besten passen und die man zu einem Vorstellungsgespräch einladen sollte. Das spart tausende von Stunden händische Arbeit.

Man spricht in der Branche von einem „Kampf um Talente“. Ist es tatsächlich so dramatisch und schwierig, Talente zu finden und für die Hospitality-Industrie zu gewinnen?
Ich finde den Begriff „Kampf“ etwas übertrieben. Ja, es ist schwierig, aber als Branche haben wir immer noch Herausforderungen, die die Talentsuche erschweren. Anstatt die Hotellerie attraktiver zu machen, schrecken gewisse alte Praktiken Neuankömmlinge ab. Die Leute wollen eine bessere Work-Life-Balance. So etwas Einfaches wie zwei freie Tage am Stück zu haben, ist immer noch selten. Man arbeitet ein ganzes Wochenende und dann hat man Montag und Donnerstag frei. Am Montag schläft man aus. Am Donnerstag macht man Einkauf und Wäsche. Das ist keine gute Balance. Geteilte Schichten (Split-Shifts) gibt es immer noch, aber wie lösen wir das?

Sie kennen die Antwort…
Nun, gewisse Mitarbeiterunterkünfte sind unterdurchschnittlich, und Arbeitsbedingungen und Verträge werden nicht immer eingehalten. Interessant ist, wenn wir mit unseren Studierenden reden, die von ihrem ersten Praktikum in der Hotellerie zurückkommen, dann hört man oft: «Ich will keine Karriere in der Hotellerie machen». Also schon auf Praktikumsstufe verlieren wir sie aus unserer Branche. Ich habe vor ein paar Jahren eine Statistik aus Deutschland gesehen, die besagte, dass über 90 Prozent der Praktikanten in der Gastronomie innerhalb des ersten Jahres aufhören. Das ist unglaublich traurig. Wir müssen als Branche besser werden!

KI und Automatisierung bieten Potenzial, aber auch Herausforderungen. Wie können Schweizer Hotelbetriebe ihre Mitarbeitenden gezielt auf den Umgang mit KI und anderen neuen Technologien vorbereiten? Welche Rolle spielen dabei Aus- und Weiterbildungsinstitutionen wie die EHL?
KI wird jemandem den Job wegnehmen, der keine KI kann. Ich glaube, wir kratzen erst an der Oberfläche von dem, was KI für unsere Branche leisten kann. Aber gewisse Leute in Führungspositionen sehen es als Bedrohung. Im Gegenteil, es gibt uns grosse Chancen, wir müssen einfach anders darüber nachdenken. Wie ich schon gesagt habe, vergiss die Lösung und schau auf das Problem. Ich meine, wenn SpaceX eine Rakete ins All schicken und dann auf einer Plattform im Meer landen kann, dann sind Technologielösungen für die Hotellerie kein Problem. KI wird für mich in vielen Bereichen wichtiger werden, vor allem im Revenue Management, Marketing, Finanzen und Recht. Bei der Technologie glaube ich fest daran (und das unterrichte ich auch in meinen Technologie-Kursen), dass es immer um die Wahlfreiheit geht. Ich meine, wieso müssen wir immer noch „einchecken“ im Hotel? Wieso müssen wir den Zimmerservice „anrufen“?

Wieso nicht?
Wir sollten Technologien und Lösungen anbieten, die das Leben der Gäste und der Mitarbeiter einfacher machen. Ich war kürzlich für eine Konferenz in Portugal und habe in einem Four Seasons Hotel übernachtet. Meine Hauptkommunikationsmethode mit dem Hotel? WhatsApp. Was für eine gute Erfahrung für mich, genau das habe ich gewollt! Denke ich jetzt besser oder schlechter über Four Seasons? Viel besser! Es war MEINE Wahl als Gast.
Was die Rolle der EHL und der Ausbildung betrifft, so wird immer mehr Wert daraufgelegt, digitale und technologieorientierte Ausbildung in unsere Programme zu integrieren. Wir werden besser, und das bleibt ein Bereich, den wir ständig weiterentwickeln müssen, um den Bedürfnissen der Branche gerecht zu werden. Die Leute lernen heute anders als vor 30 Jahren, das müssen wir akzeptieren. Die Hotellerie ist für mich immer noch die spannendste Branche auf der Welt, mit so viel Potenzial, aber wir müssen anerkennen, dass wir eine bessere Mitarbeitererfahrung brauchen, um gemeinsam vorwärtszukommen.

Wer ist Ian Millar?
Ian Millar ist Senior Lecturer in der Abteilung für Unternehmertum und Innovation an der EHL und arbeitet an den studentischen Unternehmensprojekten sowie an der Durchführung von Kursen zum Thema Gastgewerbe. Durch seine doppelte Expertise in den Bereichen Gastgewerbe und Informationstechnologie steht er an der Spitze neuer Entwicklungen in der internationalen Gastgewerbebranche. Er ist Certified Hospitality Technology Professional und ein häufiger Referent auf internationalen IT-Konferenzen sowie Autor zahlreicher Artikel über Gastgewerbe-Technologie.
Ian Millar ist als Berater für verschiedene Technologieunternehmen im Gastgewerbe tätig und war Mitglied des Hotel Industry Expert Panel für das Singapore Tourism Board, das Hotels in der Region in Bezug auf den Einsatz bewährter Technologien berät. Außerdem ist er Mentor für das Metro Accelerator-Programm und berät verschiedene Start-up-Unternehmen im Bereich der Gastgewerbe-Technologie. Derzeit ist er Mitglied des Beirats der HITEC Amsterdam. Diese Institution organisiert Europas größte Konferenz für Gastgewerbe-Technologie.
Ian Millar ist Träger des «2020 Hospitality Financial & Technology Professionals (HFTP) Paragon Award».
Bildlegende Hauptfoto: Ian Millar ist Senior Lecturer in der Abteilung für Unternehmertum und Innovation an der EHL.
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