Das Midscale- oder Mittelklasse-Segment ist das historische Herzstück von Accor, dem größten Hotelkonzern Europas mit 5500 Häusern, darunter etwa 100 Hotels in der Schweiz. Das erste Accor-Midscale-Hotel war das Novotel in Lille im Jahr 1967. Nun setzt Accor-Europa-Chef Patrick Mendes wieder stark auf „Midscale“, wie er in einem Interview mit ahgz-Chefredaktor Rolf Westermann betont.
Patrick Mendes ist seit Jahresanfang CEO Europe & North Africa bei Accor für den Bereich Premium, Midscale & Economy. Über die Bedeutung des Mittelklasse-Segments sprach er mit Rolf Westermann. Am 8. April 2024 ist Mendes Keynote-Sprecher am Deutschen Hotelkongress im Europapark Rust. Das folgende Interview ist als Erstpublikation auf der deutschen Fachplattform ahgz erschienen. Hotel Inside publiziert Auszüge daraus:
Patrick, über die Strukturierung von Accor in die beiden Divisionen „Premium, Midscale & Economy“ (PME) sowie „Luxus & Lifestyle“ (L&L) wurde viel diskutiert. Hat die Organisation die neue Struktur inzwischen verdaut?
Das ist schon eine große Veränderung. In meinen fast 19 Jahren bei Accor habe ich viele Umorganisationen erlebt, aber nach dem Strategiewechsel auf Asset Light vor einigen Jahren ist das die zweite große Transformation. Wir haben nun die Chance, uns stärker mit den Marken, den Eigentümern und den Regionen zu beschäftigen. Wir sehen jetzt schon, wie wertvoll das ist. Ein Beispiel: Ich war in den vergangenen Jahren als Group Chief Commercial Officer verantwortlich für 40+ Marken, nun kann ich mich auf jene 25 in meiner Region konzentrieren. So gewinnen wir Power und Geschwindigkeit. Also lautet die kurze Antwort: Ja!
Gibt es noch Abgrenzungsfragen, etwa warum Lifestyle zu Luxus gehört und nicht zu Premium?
Wir haben lange an der Organisationsstruktur gearbeitet. PME macht 90 Prozent des weltweiten Portfolios aus, Lifestyle betrifft etwa 150 der rund 5500 Accor-Hotels. Sie sind alle sehr unterschiedlich, Marken- und Gründer-getrieben und brauchen viel Aufmerksamkeit und Positionierung weltweit. Marken wie Mama Shelter, Delano oder SLS mit ihrem kleinen Netzwerk unterscheiden sich stark von unseren historisch gewachsenen Marken wie ibis, Novotel oder Mercure. Hier haben wir mehr Standards und eine lange Geschichte. Die „Legacy Brands“ haben eine gewisse Größe und eine entsprechende Pipeline, sind konsistent und seit vielen Jahren erfolgreich. Hauptkriterien für die Zuordnung unserer Marken zur regional gesteuerten PME- oder der Marken-fokussierten L&L-Division sind die Größe, Konsistenz und die Frage, ob es junge oder historisch gewachsene Marken sind. Bei unseren Lifestyle-Marken ist außerdem der Business-Mix ein anderer. Hier generieren wir einen höheren Anteil des Umsatzes über F&B. Bei unserer Lifestyle-Marke Tribe (11 Hotels in 6 Ländern, 44 Objekte in der Pipeline) hatten wir gewisse Zweifel, sind aber zu dem Ergebnis gekommen, dass sie innerhalb unserer Premium-, Midscale- und Economy-Division gut aufgehoben ist.
Der stellvertretende CEO Jean-Jacques Morin sagte kürzlich in einem ahgz-Interview, dass Accor nach dem langjährigen Aufbau des Lifestyle- und Luxusbereichs nun wieder stärker auf die traditionellen Marken setze. Was bedeutet das genau?
Wir dürfen nicht die Rolle von Luxury & Lifestyle als Game Changer für Accor vor zehn Jahren vergessen. Der Schritt hin zu diesen Segmenten hatte große Auswirkungen sowohl innerhalb der Gruppe selbst als auch generell für die Hotelindustrie. Accor war Vorreiter in puncto Lifestyle-Hotels. Diese Rolle möchten wir natürlich beibehalten. Andererseits haben wir uns in den vergangenen fünf bis sechs Jahren wieder mehr auf die historisch gewachsenen Marken besonnen. Bei all den schicken, neuen Projekten dürfen wir die Schlüsselmarken nicht vergessen, die weiterhin genauso großes Potential haben. ibis, Mercure, Pullman – das sind große Marken. Wir wollen sie ebenso weiterentwickeln und nutzen dabei auch die Erfahrung, die wir dabei auch im Lifestyle-Bereich sammeln. Wenn wir heute ein ibis oder Novotel eröffnen, ist es ganz anders als ein Hotel, das wir vor zehn Jahren auf den Markt gebracht haben: Wir bieten mehr Erlebnisse, mehr F&B. Nichts gegen Standardisierung, aber sie läuft heute mehr im Hintergrund. Wir lernen also von den Lifestyle-Marken, ohne selbst welche zu werden. Lifestyle passt nicht überall. Nehmen wir zum Beispiel ein großes Pullman-Hotel mit Mice-Fokus. Natürlich können wir Lifestyleelemente z.B. in unser gastronomisches Angebot einbauen. Andere Bereiche hingegen sind bewusst so gestaltet wie sie sind. Ein Tagungszentrum ist für einen bestimmten Zweck und eine bestimmte Klientel vorgesehen. Diesen Charakter wollen wir erhalten.
Nennen Sie zwei Gründe, warum Midscale oder Mittelklasse erfolgreich sein wird. Viele Experten sind davon ausgegangen, dass sich die Menschen auf Luxus oder Budget fixieren werden.
Mit der Analyse stimme ich nicht überein. Es gibt viel Raum für Midscale & Premium zwischen Luxus und Economy. Viele Gäste suchen nach guter Qualität und schönen Erlebnissen, wollen aber nicht den Preis für Luxus bezahlen und auch nicht in Economy übernachten. Midscale kann hier also einen großen Raum einnehmen. Nehmen Sie zum Beispiel ein neues Mercure-Hotel, das wir als Midscale plus einstufen. Das hat mit der Qualität, Größe und dem Komfort einfach ein überzeugendes Preis-Leistungsverhältnis. Insbesondere internationale Gäste schauen sehr stark auf diese Kategorie. Die zweite Antwort ist, dass Eigentümer und Franchisenehmer ein sehr gutes Geschäft mit Midscale machen können. Bei Economy erreicht der GOP im besten Fall 50 bis 55 Prozent, im Midscale-Bereich können es 40 bis 45 Prozent sein. Das sind großartige Margen. In den meisten Märkten ist Midscale das profitabelste Investment bei weniger Risiko als in einigen anderen Segmenten.
Ihr Segment ist für rund 60 Prozent des Accor-Umsatzes verantwortlich und für fast drei Viertel des bereinigten EBITDA. Wie lässt sich das noch steigern?
Sie erhöhen den Druck auf mich (lacht). Aber tatsächlich sind es schon fast 70 Prozent. Wir haben zwei große Stellschrauben. Zuerst: Die Größe ist entscheidend. Dadurch haben wir eine gute Position gegenüber Lieferanten und Vertriebspartnern und können außerdem durch Skalierungseffekte unser Geschäft optimieren. Zum anderen ist Europa die weltweite Region Nummer 1 für Tourismus und Hospitality, nicht etwa die USA oder China. Frankreich kommt auf fast 100 Millionen Touristen und Spanien auf annähernd 90 Millionen. Die drei Segmente Mice, Leisure und Business sind nach Corona stärker zurückgekommen als zuvor. Alle wollen Europa besuchen und so ist Europa auch „The place to be“ für das Development. Das pushe ich. Wir werden in der Region 360 Hotels in den nächsten drei Jahren eröffnen. In den nächsten fünf Jahren planen wir jährlich etwa 120 Hotels. Es gibt genügend Möglichkeiten, indem wir verdichten und neue Destinationen ausbauen.
Kürzlich hieß es in einer Accor-Konferenz in Paris, dass insbesondere die Marke Pullman vorangetrieben werden soll. CEO Sébastien Bazin sagte sogar, Pullman sei die „reichhaltigste Marke“. In ihrer Region gibt es erst 28 Hotels der Marke.
Das ist ein guter Punkt. Wir möchten Premium generell vorantreiben, dazu gehören Pullman, Mövenpick und Swissôtel. Derzeit erzielen wir in meiner Region 6 bis 7 Prozent des Umsatzes in diesem Bereich. Wir wollen diese Erlöse in den kommenden Jahren verdoppeln. Die Zahl der Hotels in diesem Segment steigt dann von derzeit 67 auf 130. Wir haben drei ikonische Marken: Pullman, Novotel und ibis. Pullman pushen wir ganz besonders. Es ist die älteste Hospitality-Marke der Welt. Sie wurde 1867 in Chicago gegründet, war schon seit jeher mit Zugreisen, Abenteuer und Reisen allgemein verbunden und ist für uns mit ihrer Geschichte, der sozialen Komponente und Storytelling sehr wertvoll. Aktuell haben wir global 150 Pullman-Hotels, in meiner Region sind es 28 Hotels sowie 11 Openings in der Pipeline. Auch hier ist mein Ziel, das Netzwerk in den nächsten drei bis fünf Jahren zu verdoppeln.
Quelle & Copyright: ahgz, November 2023
Patrick Mendes hält beim Deutschen Hotelkongress am 8. April 2024 im Europa-Park in Rust eine Keynote. https://ahgz.dfvcg-events.de/hotelkongress/ticketshop/
Wer ist Patrick Mendes?
Patrick Mendes ist seit Januar 2023 CEO Europe & North Africa bei Accor für die Hotels im Bereich Premium, Midscale & Economy. Zuvor war er seit Oktober 2020 als Group Chief Commercial Officer (CCO) weltweit verantwortlich für die Bereiche Vertrieb, Marketing, Distribution, Digital und Loyalty. Mendes hat an der Hospitality Management School in Bordeaux studiert. Von 1994 bis 2005 arbeitete er für Edenred (Payment & Loyalty Solutions) in Paris und Lissabon. 2005 kam er zu Accor, zunächst als Senior VP Global Sales & Distribution, 2011 wechselte er als COO Luxury and Midscale Brands mit Sitz in Sao Paulo nach Lateinamerika, wo er 2015 regionaler CEO für den Bereich wurde. Mendes ist ein starker Verfechter von CSR und ein Diversity Champion. Accor verfügte Ende Oktober 2023 über ein Hotelportfolio von 805.000 Zimmern (5500 Hotels) und eine Pipeline von 217.000 Zimmern (1200 Hotels). Unter dem Dach sind rund 40 Marken angesiedelt.
Über Accor
Der französische Hotelkonzern Accor hat im ersten Halbjahr 2023 den Umsatz verglichen mit dem Vorjahreszeitraum um 39 Prozent auf 2,4 Mrd. Euro gesteigert. Das EBITDA (Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen) hat sich auf 447 Mio. Euro mehr als verdoppelt. Der RevPAR (Umsatz pro verfügbares Zimmer) stieg um 38 Prozent. Das konsolidierte EBITDA für das Gesamtjahr wird zwischen 930 Mio. und 970 Mio. Euro erwartet. Ende Juni 2023 verfügte die Gruppe über ein Hotelportfolio von 805.436 Zimmern (5.487 Hotels) und eine Pipeline von 217.000 Zimmern (1.262 Hotels).